SWR: „Albtraum Ferienlager?“

Albtraum Ferienlager? Der SWR hat sich an einer Reportage versucht.
Albtraum Ferienlager? Der SWR hat sich an einer Reportage versucht.
Unter dem schon recht unverhohlenen Titel „Albtraum Ferienlager?“ berichtet das SWR über die angeblichen Zustände bei Kinder- und Jugendreisen. Der Beitrag ist (zumindest derzeit) in der Mediathek abrufbar: https://www.ardmediathek.de/video/vollbild-recherchen-die-mehr-zeigen/albtraum-ferienlager/swr/Y3JpZDovL3N3ci5kZS9hZXgvbzIwOTU1NDQ

Der Untertitel legt dann das Fragezeichen, das im Titel noch eine offene Perspektive suggeriert, endgültig ab:

Anbieter von Kinder- und Jugendreisen versprechen Abenteuer im Sommer: Zelten ohne Eltern im Ausland oder Urlaub auf dem Bauernhof. Ein verlockendes Angebot für wenig Geld. Doch unsere Undercover-Recherche offenbart Schattenseiten von Feriencamps: Ungeschultes Personal, Alkoholmissbrauch und sexuelle Übergriffe auf Minderjährige.

Da dies auch in den juristischen Bereich geht, habe ich mich damit näher auseinandergesetzt:

Naja, es ist halt Sensationsfernsehen. Ohne Skandalgeschichten wäre der Bericht kein Bericht.

Einleitend hören wir ein paar zusammengeschnittene O-Töne, darunter der schlimmste Vorwurf, den es in der ARD gibt: Es ginge den Anbietern um Profit.

Die erste Interviewte (Maya) erzählt von Drogenkonsum und dass die Betreuer nicht genug darauf aufgepasst hätten. Der Vater (hauptberuflich, wie der öffentlich-rechtliche Zufall immer so spielt, Politaktivist) ist bestürzt, erwähnt dann noch, dass seine Tochter krank geworden sei und er den Anbieter habe anrufen müssen. Aber alles bleibt komplett vage, das kann also niemand einschätzen.

Warum sie zwar voll identifizierbar genannt wird, dann aber im Halbschatten mit dem Rücken zur Kamera sitzt, wobei sie sonst in Sozialen Medien extrem präsent ist, bleibt das Geheimnis der Redaktion. Wahrscheinlich würde sie sonst nicht genügend als Opfer wirken.

Da die fünfzehnjährige Maya, wie wir ganz ohne Halbschatten erfahren, in Berlin wohnt, wäre ein Vergleich der Drogensituation auf einer solchen Fahrt mit derjenigen in ihrer Schule ganz interessant gewesen. Aber das ist, wie wir noch sehen werden, kein Sendeformat für Nachfragen.

Dann greifen die Investigativ-Journalisten zu einem besonders investigativen Mittel der Investigation: Sie lesen Internet-Bewertungen. Da haben nämlich irgendwelche Leute irgendwas geschrieben.

Der erste einigermaßen konkrete, allgemein relevante Vorwurf: Der Betreuerschlüssel sei nicht ausreichend. Schauen wir mal, was sie daraus machen.

Ein schuldbewusster Ex-Betreuer erzählt, dass er mal geschrien und andere Dinge gemacht habe, die „sowas von nicht in Ordnung“ waren. Außerdem hätten sie die ganze Nacht gesoffen und seien nicht dahingehend geschult worden, dass sie das nicht machen sollten.

Dann wird ein Redaktionskollege als Maulwurf eingeschleust: Er bewirbt sich als Betreuer und wird von einem Anbieter genommen. Der Maulwurf (Timm) schaut zugegebenermaßen aus als wäre er Klassenbester im Jugendgefängnis gewesen, was nicht unbedingt für den spricht, der ihn einstellt. Er darf sich eine Reise aussuchen und nimmt etwas in der Ostzone, was den Anbieter freilich noch skeptischer machen müsste.

Immerhin zweiter echter Kritikpunkt (nachdem ein Drittel der Sendung vorbei ist): Die Betreuerschulung ist nur online und entspricht quantitativ und qualitativ nicht den Schilderungen auf der Webseite. Kein Nachweis über Erste-Hilfe-Kurs, kein Führungszeugnis.

Als nächstes werden nachgesprochene Stimmen über eine unscharfe Zoom-Konferenz gelegt und ein paar angebliche Anekdoten ohne große Bedeutung erzählt.

Maulwurf Timm steht am Bahnhof und ist „super gespannt“, was auf ihn zukommt. Das Betreuerteam der Reise besteht aus vier Personen, die sich zu dritt um die Kinder kümmern. Nein, ich hab’s auch nicht verstanden.

Timm ist schockiert, dass er sich von morgens bis abends um die Gruppe kümmern muss. Er dachte wohl, dass die Kinder den Tag über in der Arbeit sind und er dann frei hat.

Ein Kind hat ADHS, womit sich Timm (nachvollziehbarerweise) überfordert fühlt. Mit Heimweh allerdings auch.

Jetzt wird es noch investigativer als vorher mit den Internetbewertungen: Es werden Zeitungsüberschriften eingeblendet. Es geht um Missbrauchsvorwürfe, für die jeweiligen Hintergründe dazu ist freilich keine Zeit.

Als nächstes kommt Interviewpartnerin Steffi. Sie wurde wohl im Ferienlager missbraucht, das muss man sich als Zuschauer aber aus Andeutungen zusammenreimen. Den anderen Betreuern habe sie ihre Wunden gezeigt (auch hierzu keine Erklärung), die hätten aber nicht geholfen. Für extrem schwere Vorwürfe wieder alles sehr vage.

Interviewpartnerin Laura: Explizite Missbrauchsvorwürfe. Sie sei aber trotzdem immer wieder auf dem gleichen Hof gewesen und es sei immer wieder zu Missbrauch gekommen. Sie habe sogar beim Täter im Zimmer schlafen müssen. Die anderen Betreuer hätten das gewusst. Es gibt konkrete Angaben zum Strafprozess und zum Urteil, mit denen sich aber absolut nichts zu diesem angeblichen Fall finden lässt.

Wir sind zurück bei Timm. Konkreter Vorwurf: Betreuer sind öfters allein mit Kindern, was einen unguten Schein erzeugen kann. Den Punkt kann ich nachvollziehen.

Anschließend schildert Timm das Dilemma, dass manche der weiblichen Teilnehmer nackt durch die Gegend laufen, obwohl er auf der gleichen Etage ist. Ich kann sein Unbehagen verstehen, weiß aber nicht, wer daran nun schuld sein soll. Der Anbieter ist ähnlich irritiert und verspricht zumindest, das Betreuerzimmer zu verlegen.

Eine Ehrenamtliche aus der Missbrauchshilfe schildert ihre Erfahrungen, dass solche Taten in Ferienlagern ein großes Problem darstellten. Sie beklagt die mangelnde Qualifikation der Betreuer. Außerdem müssten die Anbieter durch Behörden kontrolliert werden – was in einer Behörde wie dem SWR natürlich gerne gehört wird.

Sie behauptet, dass sich Personen, die in anderen Jugendeinrichtungen negativ aufgefallen seien, jetzt verstärkt Ferienlagern zuwenden würden. Das seien „Täterparadiese“. Ein massiver Vorwurf, der nähere Thematisierung verdient hätte, aber wir reden schon gut zwei Minuten mit der gleichen Person, das ist in einer Show der schnellen Schnitte mehr als genug.

Lieber werden jetzt die Reaktionen der Eltern darauf, dass die Betreuer nicht besonders ausgebildet sind, gezeigt. Also genauer gesagt von zwei Eltern, dafür werden die permanent abwechselnd eingeblendet. Sie sind nicht erfreut. Völlig unspektakulär.

Timm erfährt, dass der Betreuerschlüssel bei den folgenden Gruppen noch schlechter sein wird.

Die Moderatorin geht nachdenklich durch die Straßen. Ihr Gesicht verrät, dass sie einerseits bestürzt über ihre atemberaubenden Erkenntnisse ist, andererseits aber auch stolz darauf, dass sie alles aufgedeckt haben. Aus dem Off lobt sie sich noch ein bisschen dafür.

Jetzt sitzt sie in einem leeren Jugendherbergszimmer. Sie hat wohl schon mal einen traurigen Menschen gesehen und versucht, das bestmöglich zu imitieren. „Die Politik handelt nicht.“

Insgesamt ein ehrenhafter Ansatz, das Thema anzugehen. Aber halt in jeder Hinsicht grauenvoll umgesetzt. So wie es meistens bei den Öffentlich-Rechtlichen ist: Man erzählt lieber eine holzschnittartige Geschichte, statt wirklich zu informieren.

Die Quintessenz „Zu wenige, zu schlecht ausgebildete und deswegen überforderte Betreuer“ haben wir sehr schnell verstanden. Dafür hätten die keinen Wallraff für Arme dort einschleusen müssen, der dann ohne jegliche weiterführende Erkenntnisse einen Haufen Sendezeit bekommt.

Die „Reportage“ war eine Collage von Personen, die ihre Erfahrungen geschildert haben, die man aber nicht einmal ansatzweise bewerten oder gar überprüfen konnte. Im Endeffekt hat das keinerlei Aussagekraft.

Mit wirklich interessanten Personen wie der Ehrenamtlichen hat man dagegen kaum gesprochen. Sie war auch die einzige, die die Häufigkeit von Missbrauchsvorwürfen mal etwas angerissen hat. Aber der Redaktion war’s wohl wurscht, darum wurde da nicht weiter gefragt.

Insgesamt hat man einfach kaum etwas gelernt, was man nicht mit zwei Minuten Googlen selber rausgefunden hätte. Dass solche Dinge dort passieren, hätte wohl niemand bestritten. Wie häufig Missbrauchstaten in dem Umfeld tatsächlich sind (was für die Eltern vor einer Buchung vielleicht doch von Interesse wäre) hat man nicht erfahren. Gibt es bekannte Fälle von Verletzungen o.ä., auf die die schlecht ausgebildeten Betreuer nicht adäquat reagiert haben? Gibt es denn gute Anbieter und was machen die anders/besser? Wie kann ich das als Elternteil erkennen?

Es bleibt alles vage und anekdotisch, alles ist irgendwie düster: Albtraum Ferienlager eben.

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