Worum es konkret geht
Das BMJ will die Menschenhandelsdelikte umbauen: generelle Höchststrafe bis zu zehn Jahren, eine ausgeweitete Nachfragestrafbarkeit über den Prostitutionsbereich hinaus und neue Ausbeutungsformen wie Leihmutterschaft, Zwangsheirat und illegale Adoption. Das klingt nach Entschlossenheit – wirkt aber wie Strafrechts-Aktionismus mit offenen Auslegungsfragen.
EU-Vorgabe vs. deutsche Draufgabe
Die überarbeitete Richtlinie (EU) 2024/1712 verlangt die Strafbarkeit der Nutzung von Diensten eines Opfers bei Wissen um die Ausbeutung sowie bessere Koordination und Datengrundlagen. Deutschland möchte darüber hinaus „Härte“ zeigen. Je weiter man über die EU-Linie hinausgeht, desto enger wird der verfassungsrechtliche Spielraum (Bestimmtheit, Verhältnismäßigkeit).
Die immergleiche Erzählung von der „Schutzlücke“
Die §§ 232 ff. StGB sind seit 2016 mehrfach reformiert worden. Die wirklichen Defizite liegen nicht primär im Gesetz, sondern in Aufdeckung, Beweisbarkeit, Opferschutz und Ressourcen. „Schutzlücke“ ist oft nur das Etikett für praktische Vollzugsprobleme – gelöst wird dadurch nichts.
Nachfragestrafbarkeit: juristisch heikel, praktisch zäh
Die EU setzt ein Wissenselement voraus: Wer Dienste in Kenntnis der Ausbeutung nutzt, macht sich strafbar. Das ist eng – und gut so. In der Praxis bleibt der Beweis des Wissens die Hürde: Indizien reichen nicht immer bis zur Verurteilung. Wer hier in Richtung „hätte wissen müssen“ abgleitet, riskiert Bestimmtheitsprobleme (Art. 103 Abs. 2 GG).
Strafrahmen rauf – und dann?
Ein pauschales Anheben auf zehn Jahre ist politisch laut, rechtlich dünn und kriminalpolitisch fragwürdig. Abschreckung funktioniert über Entdeckungsrisiko, nicht über Zahlenkosmetik. Nebenfolgen: härtere Haft- und Deal-Dynamiken, mehr Revisionspotenzial – aber keine zusätzliche Opferidentifikation.
Das eigentliche To-do
Was wirkt: spezialisierte Einheiten, Schulungen für Polizei/Staatsanwaltschaft/Gerichte, klare Referral-Mechanismen, verlässlicher Opferschutz und Zeug:innenschutz, Sprachmittlung, Arbeitskontrollen in Risikobranchen, Finanzermittlungen und Gewinnabschöpfung, belastbare Daten und Koordination. Kurz: Strukturen statt Schlagzeilen.
„Nagelstudio“-Beispiel: PR vs. Justiziabilität
Die kommunikative Formel „Auch der Kunde macht sich strafbar“ taugt für Pressekonferenzen. In gerichtsfester Realität entscheidet das Wissenselement. Ohne klare Indizienketten, geschützte Meldewege und solide Beweisstandards bleibt es beim Zufallserfolg im Einzelfall.
Fazit
Der Entwurf liefert Härte-Rhetorik, aber keine Antwort auf die Kernprobleme der Aufklärung. Wer ernsthaft helfen will, investiert in Ermittlung, Opferschutz, Daten und Koordination. Alles andere ist Politik-Theater mit Paragrafen-Kulisse.
Weiterführende Hinweise
LTO-Berichte vom 20. Oktober 2025; Richtlinie (EU) 2024/1712; Debatte zur Ausweitung der Nachfragestrafbarkeit; Materialien zu §§ 232 ff. StGB seit der Reform 2016.