Auf Facebook macht derzeit eine Entscheidung die Runde, in der der Bundesgerichtshof angeblich geurteilt habe, das Würgen des Opfers während einer Vergewaltigung stelle keine Misshandlung dar. Dies klingt zunächst kaum nachvollziehbar.
Darum habe ich mich etwas näher mit dem Urteil und den gesetzlichen Hintergründen beschäftigt:
In dem Fall (BGH, Beschluss vom 3. Mai 2018, Az. 3 StR 658/17) hatte das Landgericht Trier den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren verurteilt. Dabei hat es einen besonders schweren Fall angenommen, da der Täter das Opfer gewürgt und damit schwer misshandelt habe. Allein Letzteres wurde durch den BGH moniert.
Der Fall spielte zwar zu einer Zeit, als noch das frühere Sexualstrafrecht in Kraft war. Die gesetzlichen Regelungen waren insoweit identisch, standen aber in anderen Absätzen des § 177 StGB. Da dies nur rechtshistorisch von Interesse wäre, wenden wir uns einfach der heutigen Gesetzesfassung und deren Nummerierung zu.
Verschiedene Schwerestufen bei Sexualdelikten
Grundtatbestand ist heute das Vornehmen sexueller Handlungen an einer anderen Person gegen deren erkennbaren Willen (§ 177 Abs. 1 StGB, „sexueller Übergriff“). Der Strafrahmen geht hier von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe.
Unter besonderen Voraussetzungen wird diese Handlung höher bestraft, es handelt sich dann um eine sogenannte Qualifikation. Konkret wurde hier körperliche Gewalt angewandt, der Täter hat das Opfer gewürgt und ihr die Beine auseinandergedrückt. Das war soweit unstreitig. Damit nennt sich das Delikt „sexuelle Nötigung“ und geht gemäß § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB der Strafrahmen von einem bis zu fünfzehn Jahren Gefängnis.
Außerdem hat er nicht nur einfache sexuelle Handlungen vorgenommen, sondern Geschlechtsverkehr erzwungen oder, wie das StGB sagt, „den Beischlaf vollzogen“ (Vergewaltigung, § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB). Damit steigt die Mindeststrafe auf zwei Jahre.
Bis hierhin gab es rechtlich an dem Urteil nichts auszusetzen. Eine Vergewaltigung liegt also auf jeden Fall vor.
„Schwere körperliche Misshandlung“
Nun gibt es aber noch eine weitere Qualifikation der Vergewaltigung. § 177 Abs. 8 Nr. 2 Buchstabe a besagt:
Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter das Opfer bei der Tat körperlich schwer misshandelt
Das sah das Landgericht gegeben an, da der Angeklagte die Geschädigte gewürgt hat.
Der Bundesgerichtshof sah das nun anders. Aber eben nicht, wie dies teilweise anklingt, weil das Würgen keine Gewalt sei. Aus Sicht des BGH waren die Feststellungen im Urteil nur zu dürftig, um eine schwere körperliche Misshandlung zu belegen.
Denn eine schwere körperliche Misshandlung ist mehr als eine Körperverletzung. Die Anwendung von Gewalt ist bereits Teil des normalen Tatbestands einer Vergewaltigung, die mit zwei Jahren Mindeststrafe belegt ist. Die besonders schwere Vergewaltigung, die schon mindestens fünf Jahre Gefängnis nach sich zieht, muss also erheblich schwerwiegender sein.
Feststellungen im Urteil reichten nicht aus
Notwendig ist eine gravierende Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens, die mit erheblichen Schmerzen verbunden ist. Das wird beim Würgen des Opfers häufig der Fall sein, ist aber eben nicht zwingend. Jedenfalls hätte die Strafkammer dies bei ihrer Beschreibung des Sachverhalts im Urteil näher darlegen müssen.
Im Beschluss des BGH heißt es:
Nach diesen Maßstäben belegen die bisher getroffenen Feststellungen eine körperlich schwere Misshandlung nicht. Danach würgte der Angeklagte die Geschädigte zwar heftig, so dass sie Todesangst verspürte und schließlich „schwächer“ wurde. Das Landgericht hat aber weder dargelegt, dass diese Behandlung für die Geschädigte in besonderer, eine „einfache“ Körperverletzung im Sinne des § 223 Abs. 1 StGB deutlich übersteigender Weise schmerzhaft war, noch hat es festgestellt, dass sie zu Verletzungen führte, die die körperliche Integrität schwer beeinträchtigten. Die Zeugin, die die Geschädigte unmittelbar nach der Tat sah, bemerkte lediglich Rötungen an deren Hals, die in den Urteilsgründen nicht näher beschrieben werden.
Wie geht es nun weiter?
Die Sache wird jetzt zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Trier, diesmal jedoch an eine andere Strafkammer, zurückverwiesen. Dort findet eine neue Hauptverhandlung statt. Man kann davon ausgehen, dass die Frage, ob eine schwere körperliche Misshandlung vorlag, hier mit großer Sorgfalt geprüft werden wird. Dann gibt es ein neues Urteil, das nun entweder eine „einfache“ oder eben doch wieder eine besonders schwere Vergewaltigung feststellen wird.
Es ist also keineswegs so, dass der Angeklagte hier schon etwas gewonnen hätte. Und es ist auch nicht so, dass das Würgen des Opfers quasi straflos wäre. Nur eröffnet es nicht automatisch einen Strafrahmen, der die Mindeststrafe gleich um drei Jahre erhöht.