Der Mensch ist kein politisch korrektes Wesen. So einfach lässt sich das große Dilemma vieler Leute mit der menschlichen Natur beschreiben. Wir alle haben unsere Erfahrungen, Urteile und Vorurteile und wollen uns nicht angewöhnen, von diesen völlig abzulassen und ohne jedes Ansehen der Person rechtliche Bindungen einzugehen. Schlimmer noch, wir wollen uns sogar ganz exakt aussuchen, wem wir eine Wohnung vermieten, für wen wir arbeiten, wo wir unser Auto kaufen oder wem wir unser Hab und Gut vererben wollen. Gegen solche individualistisch-neoliberalen Pingeligkeiten wurde schon vor langem Abhilfe ersonnen: Eine Antidiskriminierungsgesetz sollte endlich die lustige Privatautonomie beseitigen und eine egalitäre Gesellschaft fördern. Dieses Gesetz ist jetzt seit sieben Jahren in Kraft.
Lange Zeit haben sich hierfür keine Mehrheiten gefunden; die Parlamentarier waren mit genug Vernunft gesegnet, diesen Unsinn in der Schubladen zu lassen und sich Wichtigerem zu widmen. Doch dann geschah, was so oft passiert: Die EU, über irdische Hemmnisse wie die Vernunft stets erhaben, griff den Plan auf. Ganz Europa sollte zum Hort der undiskriminierten Seligen werden und auf diesem Weg von zwei Richtlinien begleitet werden. Und so bleibt dem Bundestag nichts anderes übrig, als – wohl wider besseres Wissen und die eigene Überzeugung – die europäischen Richtlinien in nationales Recht umzusetzen.
Hiernach darf nun niemand mehr bei Alltagsgeschäften einen anderen diskriminieren. Jeder einzelne steht also künftig in der Pflicht, alle Menschen gleich zu behandeln. Dieser Begriff von der „Diskriminierung“ hat in den letzten Jahren geradezu eine Inflation erlebt. Wann immer irgendjemandem etwas nicht in den Kram gepasst hat, war er gleich das Opfer einer Diskriminierung. Was verbirgt sich nun eigentlich hinter diesem Wort? Das lateinische Verb „discriminare“ bedeutet nichts anderes als „unterscheiden“. Und unterscheiden wir nicht alle verschiedene Menschen? Dies ist schon ein Gebot der Individualität des einzelnen. Und immer, wenn wir vor der Entscheidung stehen, wen aus einer größeren Gruppe von Interessierten wir (zum Beispiel durch einen Vertragsschluss) nun begünstigen wollen, müssen wir uns entscheiden und hierfür zunächst unterscheiden.
Dem trägt auch das unter dem Titel „Allgemeines Gleichstellungsgesetz“ verabschiedete Antidiskriminierungsgesetz durchaus Rechnung. Schließlich ist nicht jegliche Unterscheidung schlichtweg verboten; nur die unter § 1 AGG genannten Kriterien dürfen nicht mehr herangezogen werden: „Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.“ Man darf also weiterhin aufgrund Haarfarbe, Nasengröße, Tageszeit, Bartwuchs oder Kleidungsgewohnheiten unterscheiden; und wenn einer ein größeres Auto fährt als ich, dann soll er sich gefälligst woanders eine Arbeit suchen!
Eines ist bei aller Gegnerschaft zum AGG natürlich unbestreitbar: Es ist unvernünftig, sich seinen Vertragspartner aufgrund Kriterien wie Rasse oder Religion auszusuchen. Aber ist nicht jedes privatrechtliche Handeln in irgendeiner Weise unvernünftig? Die Unvernunft des Käufers ist die Basis der Marktwirtschaft. Es gibt in jeder Situation praktisch immer nur eine objektiv richtige, streng am Preis-Leistungs-Verhältnis orientierte Entscheidung. Man mag nun noch gewisse Maßstäbe wie Qualität, Haltbarkeit und persönlichen Geschmack anlegen, aber immer wird man sich vom objektiv richtigen ein wenig entfernen. Würde nun jeder nur nach objektiven Gesichtspunkten entscheiden, wäre Konkurrenz im Endeffekt unsinnig und zum sofortigen Scheitern verurteilt. Die ganze Geschäftstüchtigkeit der Wettbewerber, bestimmte Geschmäcker und Vorlieben zu treffen oder auch an Unterbewusstes zu appellieren, würde völlig ins Leere laufen.
Und gerade davon können Anbieter profitieren, die das objektiv beste Preis-Leistungs-Verhältnis nie erreichen könnten – beispielsweise hat der kleine Einzelhändler von nebenan immer den Vorsprung der Sympathie und der persönlichen Beratung, mögen diese Annehmlichkeiten auch nicht als Rechnungsposten ein entscheidendes objektives Gewicht erlangen. Kaum jemand – erst recht kein Gesetzgeber – käme nun auf die Idee, diese Unvernünftigkeiten bei der Auswahl unserer Geschäftspartner einer Billigkeitskontrolle zu unterwerfen. Anders nun bei der Handvoll Kriterien, die in § 1 AGG aufgezählt werden.
Das Diskriminierungsverbot ist dabei selbst diskriminierend – die Unterscheidung zwischen erlaubten und verbotenen Motiven ist willkürlich und alles andere als eindeutig, wie der Streit um die Einbeziehung der „sexuellen Identität“ gezeigt hat. Darin liegt auch die eingangs erwähnte Untauglichkeit des Begriffs der Diskriminierung: Das Streben um Gleichheit kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Diskriminierung (im Sinne von Unterscheidung) eine Notwendigkeit bleibt. Wir haben im (Wirtschafts-) Leben eine Vielzahl von Entscheidungen zu treffen, die alle – sollen sie nicht völlig willkürlich sein – anhand von bestimmten Argumenten getroffen werden müssen. Wir haben oftmals eine rechtliche oder faktische Pflicht, uns zu entscheiden. Die Last der Entscheidung und derer Folgen haben wir selbst zu tragen – diese wird uns auch ein bemühter Gesetzgeber nicht abnehmen wollen.
In unserer Wirtschaftsordnung ist sich noch immer jeder selbst der Nächste und jeder muss mit den eigenen Fehlentscheidungen leben – hiermit sind wir in den letzten 60 Jahren ganz gut gefahren. Wenn also eine unter § 1 AGG fallende Diskriminierung gegenüber einer nicht darunterfallenden wirtschaftlich objektiv vorteilhafter (oder, wie oben gezeigt, subjektiv verlockender) ist, so darf ich sie aus eigenem Interesse ergreifen. Man muss daher – und ich bin mir der provokativen Wirkung dieses Satzes gerade auf die bemühten Streiter für Gleichheit durchaus bewusst – folgendes postulieren: Der Mensch hat ein Recht auf Diskriminierung.
Andererseits: Was interessiert mich so ein Diskriminierungsverbot, das eh nur für Massengeschäfte gilt, die typischerweise „ohne Ansehen der Person“ geschlossen werden (§ 19 Abs. 1 AGG). Da, wo mir der Vertragspartner egal sein kann, muss er mir auch egal sein. Das ist doch an sich ein geradezu zwingender Satz und schränkt mich auch in meiner Freiheit nicht groß ein. Doch gerade das ist das Fatale an dem Gesetz; die unglaubliche Arroganz des Gesetzgebers, dem einzelnen vorzuschreiben, welche Kriterien ihm egal sein können. Mit dieser Unterscheidung nimmt man dem Bürger seine gesamte Privatautonomie aus den Händen; nicht mehr er selber entscheidet, was für ihn relevant ist („falsche“ Relevanzen will das Gesetz ja gerade verhindern), sondern der Gesetzgeber.
Und haben wir den Menschen erst vorgeschrieben, wann ihnen etwas egal sein muss, dann ist der Schritt zu globaler Bevormundung nicht mehr weit. Denn mit der Unterscheidung in Rechtsgeschäfte, die vom AGG erfaßt werden und solche, in denen weiter munter diskriminiert werden darf, werden alle privatautonomen Handlungen der staatliche Kontrolle unterworfen – bei manchen wird nur vorerst darauf verzichtet, ihr Zustandekommen und die dahinterstehenden Motive zu beleuchten und anschließend über ihre Berechtigung zu entscheiden. Nach dieser Ideologie ist der Schritt zur allgemeinen Genehmigungspflicht für jegliche Verträge nicht mehr weit. Nun gut, aber die erwähnten Massengeschäfte betreffen dann ja ohnehin nur die „großkopferten“ – Konzerne, große Arbeitgeber, Wohnungsbauunternehmen. In erster Linie sollen diese natürlich getroffen werden; aber Massengeschäfte tätigen wir alle und auch der Einkauf im Supermarkt gehört dazu.
Ob nun auch der Supermarktkunde erfasst sein soll, lässt sich aus dem Wortlaut des AGG nicht mit letzter Sicherheit ableiten. Aber eine solche Einschränkung läßt sich weder herauslesen noch begründen; wir müssen uns also alle damit beschäftigen, wo wir im Alltag diskriminieren könnten. Wer kauft nicht gern bei Aldi ein? Das ist eine deutsche Firma, von zwei engagierten Brüdern mit Geschäftssinn und stetem Gespür für Nachfrage gegründet; Lidl hingegen ist – ist das nicht irgendsoein seelenloser österreichischer Großkonzern? Also kauft vielleicht manch einer aus Überzeugung lieber beim Aldi ein. Das ist sein gutes Recht, andere finden Lidl einfach sympathischer – bis vor einiger Zeit waren wir als Verbraucher ja völlig frei in unseren Sympathien und Antipathien. Anders hingegen in Post-AGG-Zeiten: Wer hier eine deutsche einer österreichischen Firma vorzieht, begeht eine Diskriminierung. Und dann schlägt das Sanktionsregime des AGG genüßlich und erbarmunglos zu. § 21 Abs. 2 Satz 1 sieht zunächst Schadensersatz vor; der entgangene Gewinn kann also sogleich verlangt werden. Aber nicht nur das, auch Schmerzensgeld kann verlangt werden, § 21 Abs. 2 Satz 2. Der ganze Schmerz, der Grimm, die innere Wut und die bittere Enttäuschung über das Nichtverkaufendürfen wird dem Diskriminierten nun endlich in Geld ersetzt.
In das Hirn eines Menschen kann noch keiner hineinsehen und so könnten seine verachtenswerten Motive möglicherweise im Dunkeln bleiben. Hat man früher noch zu blutiger Folter gegriffen, macht man es heute eleganter: Beweislastumkehr heißt die moderne Streckbank, die § 22 AGG bereithält. Beruft sich der eine auf Diskriminierung, so muss der andere beweisen, dass er nicht diskriminiert hat – und das soll ihm mal gelingen. Auf diese Weise kann ein jeder in die Lage kommen, seine Entscheidungen darlegen und beweisen zu müssen – davon abgesehen, dass ihm wesentliche Entscheidungsbefugnisse einfach genommen werden.
Wollen wir wirklich einen derart unfreien Menschen erzeugen? Soll es das Menschenbild der Zukunft sein, dass jede Handlung eines mündigen Bürgers unter den Generalverdacht der rechtswidrigen Diskriminierung gestellt und hinterfragt werden kann?
Natürlich, auch Minderheiten haben ein Recht auf wirtschaftliche Teilhabe und sollten nicht willkürlich hintangestellt werden können. Aber besteht diese Gefahr wirklich? Finden Schwarze keine Wohnung oder Buddhisten keine Arbeit? Haben wir denn schon ernsthaft einmal erlebt, dass jemand an der Supermarktkasse wegen seiner Behinderung, seines Alters oder seiner sexuellen Identität abgewiesen wurde? Gäbe es reale Probleme für Minderheiten im alltäglichen Rechtsverkehr, so hätte dieses Gesetz seine Berechtigung. Der Staat ist, und darum darf er selbst richtigerweise auch nicht diskriminieren, für alle Bürger da; darum darf er grundsätzlich auch die Bürger vor Benachteiligungen untereinander schützen. Aber ich bezweifle stark, dass es den eingangs erwähnten Gleichheitskämpfern, deren Diktion und Ideologie im gesamten Gesetz Niederschlag findet, tatsächlich um reale Gleichberechtigung geht. Es mutet vielmehr wie ein Schaufenstergesetz an, das der Selbstgerechtigkeit seiner Konstrukteure dient. Der Preis, den wir alle und unser Wirtschaftsleben für ein paar nette Programmsätzchen zahlen, ist nicht hoch, aber zu hoch.
Die Wirtschaft hat sich auf die neuen Regelungen kopfschüttelnd und verständnislos lächelnd einstellen und wenig Angriffsfläche für Diskriminierungsvorwürfe geboten. Das kostet noch keinen Schadenersatz gemäß AGG, man muss nur einige Juristen beschäftigen, die das Geschäftsgebaren wasserdicht gestalten. Im Arbeitsrecht sind wir geschlechtsneutrale Stellenanzeigen wie „Schwerindustriemechaniker (m/w)“ bereits gewohnt. Ob es den Berufsaussichten von Schwerindustriemechanikerinnen merklich genützt hat, sei dahingestellt. Dann muss sich der Gesetzgeber aber auch den Vorwurf des Machtmissbrauchs gefallen lassen. Die öffentliche Gewalt muss sich in allen Dingen soweit zurücknehmen, wie es ihr möglich ist. Allerorts ist von Bürokratieabbau und Deregulierung zu hören. Warum man nun ein völlig sinnloses und mit einigen Risikopotentialen behaftetes Gesetz unbedingt durchpeitschen muss, ist kaum zu verstehen. Die freie Wirtschaft hat sich mit dem AGG arrangieren können und, nach einigen anfänglich verlorenen Prozessen, die Fallstricke des neuen Rechts kennen und vermeiden gelernt. Wenn dies der Anspruch an die Wirkung eines Gesetzes sein soll, wird dem AGG noch ein hervorragender Erfolg beschieden sein.