Auf gar nicht so wenigen Internetseiten wird mittlerweile behauptet, der Einigungsvertrag (genauer: das Gesetz, mit dem Bundestag und Bundesrat der Wiedervereinigung, dem Einigungsvertrag, den damit einhergehenden Grundgesetzänderungen und zahlreichen Übergangs- und Anpassungsregeln zugestimmt haben) sei nichtig.
Dabei wird auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts Bezug genommen, das dieses unter dem Aktenzeichen BvR 1341/90 am 24. April 1991 erlassen hat. Hieraus wird in der Regel wie folgt zitiert:
Das Gesetz vom 23. Sept. 1990 zu dem Vertrag vom 31. August 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertragsgesetz – (…) unvereinbar und nichtig.
Der Teufel steckt hierbei im Detail. Denn der gesamte Urteilsspruch ist bedeutend länger und bekommt damit einen ganz anderen Sinn:
Das Gesetz vom 23. September 1990 zu dem Vertrag vom 31. August 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertragsgesetz – und der Vereinbarung vom 18. September 1990 (Bundesgesetzbl. II Seite 885) ist insoweit mit Artikel 12 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 6 Absatz 4 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig, als durch Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Absatz 2 Satz 2 und 5 sowie Absatz 3 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschland Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag – vom 31. August 1990 (Bundesgesetzbl. II Seite 889 [1140]) die Kündigungsvorschriften des Mutterschutzrechts durchbrochen werden.
Es ist also keineswegs der gesamte Einigungsvertrag nichtig, sondern nur eine minimale Regelung, nämlich Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Absatz 2 Satz 2 und 5 sowie Absatz 3. Und auch hier betrifft die Ungültigkeit lediglich Abweichungen von den Kündigungsvorschriften des Mutterschutzrechts.
Diese Einschränkung ist durchaus von Bedeutung, denn sie macht eben klar, wie weit die Nichtigerklärung tatsächlich reicht. Sie einfach durch „(…)“ auszusparen, wenn man das Urteil wiedergibt, verändert den Sinn.
Zum Hintergrund des Verfahrens: Mit dem Einigungsvertrag wurden verschiedene DDR-Betriebe geschlossen („abgewickelt“). Unter der somit entlassenen Belegschaft waren auch die Kläger in diesem Prozess. Sie wollten feststellen lassen, dass ihre Entlassung unrechtmäßig war. Damit hatten sie jedoch keinen Erfolg, das Bundesverfassungsgericht hat die entsprechenden Passagen im Gesetz bestätigt. Lediglich in einem ganz seltenen Spezialfall – wenn die Entlassenen an sich Mutterschutz beanspruchen könnten – dürften sie nicht entlassen werden. Unter den konkreten Klägern war aber keine Frau, bei der diese Voraussetzungen vorlagen. Und daher lautete das Urteil in der Sache auch:
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.