Schlechte juristische Argumentation (II)

Die zweite Folge unserer Artikelreihe zu schlechter juristischer Argumentation. Alle Artikel, auch die künftigen, finden Sie unter dem gleichnamigen Schlagwort.

4. Wer A sagt, muss noch lange nicht B sagen

Viele Urteile bestehen aus mehreren Teilen, die man voneinander trennen muss. Wer sich aber darauf beruft, das Gericht habe „etwas gesagt“, muss auch berücksichtigen, was das Gericht sonst noch gesagt hat.

Im bekannten Überhangmandate-Urteil des Bundesverfassungsgerichts wurde schon 2008 festgestellt, dass die Regelung zur Sitzverteilung bei Bundestagswahlen rechtswidrig waren. Wer sich darauf beruft, muss aber auch beachten, dass das BVerfG damals erlaubte, die Wahlen 2009 weiter nach dem alten Gesetz durchzuführen. Mann kann das nicht einfach ausblenden und behaupten, diese Bundestagswahlen wären anfechtbar.

5. Wer A sagt, kann auch noch C hineininterpretieren

Man kann aber auch noch weitergehen. Wenn schon das Wahlgesetz verfassungswidrig ist und die bemängelte Vorschrift seit 1956 im Gesetz stand, dann waren alle Wahlen von diesem Fehler betroffen. Das ist relativ unstreitig, sozusagen das A im Urteil. Nun durften aber sogar die zum Zeitpunkt des Urteils noch bevorstehenden Wahlen im Jahr 2009 nach dem alten Recht durchgeführt werden, siehe oben. Das war unser B.

Nun gibt es aber Leute, die sich ein C ausdenken: Alle Gesetze seit 1956 seien ungültig, weil der Bundestag ja immer grundgesetzwidrig gewählt wurde. Wer das B gelesen hat, kann unmöglich zu dieser Schlussfolgerung kommen. Denn wenn ein neuer Bundestag nach diesem Recht gewählt werden durfte, dann müssen die bisherigen Bundestage erst recht unangetastet bleiben.

6. Erfinden Sie eigene Rechtsbegriffe

Wenn man einen Diskussionsgegner auf’s Glatteis führen will, muss man ihn mit etwas konfrontieren, wovon er sicher noch nie etwas gehört hat. Dann wird er erst einmal innehalten, denn wer gibt schon gern eine Bildungslücke zu?

Zwei sehr nette Beispiele kommen einem im Internet immer wieder unter: Zum einen soll es sich beim Verfahren S 72 Kr 433/93 vor dem Sozialgericht Berlin um eine „Negationsklage“ gehandelt haben. Eine solche Klageart kennt kein Jurist, weil es sie schlicht nicht gibt. Vielmehr sollte wohl mit diesem schillernden Namen verborgen werden, dass es sich um eine vollumfängliche Niederlage des Klägers gehandelt hat.

Zum anderen wird es gern als „Überblendung“ und damit als moralisch oder gar juristisch fragwürdiges Unterfangen angesehen, wenn ein Paragraph aus einem Gesetz einen neuen Namen bekommt. Von einer „Überblendung“ weiß man in der Rechtswissenschaft (im Gegensatz zur Musik- und Filmwissenschaft) aber nichts.

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