In einer juristischen Auseinandersetzung zwischen dem US-Gesundheitsministerium und der Heimwerkerkette Hobby Lobby hat der US Supreme Court entschieden, dass die Regierung kein Recht hat, Arbeitgeber zum Abschluss einer Krankenversicherung für ihre Angestellten zu verpflichten, die auch Abtreibungen finanziert. Eine Zusammenfassung des Urteil finden Sie hier und die Zitate beziehen sich auch hierauf und nicht auf die an vielen Stellen schwer verständliche Original-Entscheidung.
Hinsichtlich der Grundrechtsfähigkeit von Kapitalgesellschaften hat der Supreme Court lediglich seine bisherige Leitlinie beibehalten. Die nuancierten Abwägungen zur Religionsfreiheit verdienen zweifellos Beifall: Dass eine höchstpersönliche Meinung wie die Weltanschauung nur einem Menschen und nicht auch einer juristischen Person zugebilligt werden kann, ist logisch. Der Oberste Gerichtshof lässt aber auch nicht außer Augen, dass hinter einer solchen Gesellschaft auch Menschen (hier die Aktieninhaber) stehen, die sehr wohl einen Glauben haben, den sie auch in ihrer Geschäftstätigkeit verwirklicht sehen wollen. Dies kann aber nur dann von Bedeutung sein, wenn die Gruppe der Firmenbesitzer so homogen ist, dass ihr gemeinsamer Glaube auf das Unternehmen durchschlägt. Hier waren es einige wenige Familienmitglieder, die allesamt im christlichen Glauben verwurzelt sind. Wie der Fall zu bewerten ist, wenn es eine Vielzahl von Inhabern gibt, von denen zumindest einige andere Anschauungen besitzen, wird sicher früher oder später ebenfalls der gerichtlichen Überprüfung unterliegen. Man darf gespannt sein, ob und wie die Rechtsprechung hier eine Quantifizierung vornehmen wird.
Positiv sind ebenfalls,
- dass das Gericht einer staatlichen Bewertung von Glaubensinhalten eine Absage erteilt hat,
- ebenso der Hinweis, dass eine absurd hohe Strafzahlung zur Umgehung der Versicherungspflicht keine gangbare Alternative darstellt,
- und schließlich, dass auch in der Kette der Rechtsverhältnisse Staat-Arbeitgeber-Versicherung-Arzt-Arbeitnehmer noch immer ein Grundrechtseingriff zulasten des Arbeitgebers vorliegen kann.
Problematisch ist dagegen die Eingriffsrechtfertigung. Eine solche lehnt das Gericht im Ergebnis ab, weil es einen weniger intensiven Eingriff gegeben hätte, nämlich die Ausgliederung der Finanzierung von Abtreibungen aus der Krankenversicherung und die Übernahme der Kosten durch den Staat. Zurecht weist die Mindermeinung der Richter darauf hin, dass dieses Argument in praktisch jedem Fall möglich wäre. Wenn jeder staatliche Zwang ausgehebelt werden und so auf den Staat zurückverlagert werden könnte, würden sich die Grundrechte im Endeffekt in ihr Gegenteil verkehren: Sie würde zu einer Rechtfertigung für allumfassende Verstaatlichung.
Die dahinter stehende Überlegung ist diejenige, dass man niemanden dazu zwingen kann, etwas zu finanzieren, was ihm widerstrebt; dies gilt aber nicht für den Steuerzahler, da dieser ja nicht eine kausale und finale „Abtreibungssteuer“ zahlt, sondern neutral in einen Gesamttopf leistet, aus dem dann die gesamten staatlichen Aufgaben finanziert werden. Das bedeutet dann also, dass die moralischen Einwendungen des einzelnen unter den Tisch fallen, weil es nicht mehr zugeordnet werden kann, wessen Dollar für welche Handlung verwendet wird. Die Kausalbeziehung zwischen dem Abschluss einer Krankenversicherung mit vertraglich festgelegten Leistungen und dem Verschreibung eines Abtreibungsmittels ist dagegen eine sehr viel engere.
Dies würde in letzter Konsequenz aber bedeuten, dass man die Krankenversicherungspflicht aller ihrer Inhalte berauben kann, es gleichzeitig aber kaum Schranken für staatliches Handeln gibt. Das wäre ein Paradigmenwechsel. Und nicht zu Unrecht wird schon im Urteil angesprochen, dass dies dann z.B. auch für Impfungen, Bluttransfusionen und für Medikamente, die aus „unreinen“ Tieren hergestellt werden, gelten könnte.
Hier wäre es notwendig, eine klare Grenze zu ziehen. Man kommt einfach nicht umhin, festzustellen, dass Abtreibungen von der erdrückenden Mehrheit der Bevölkerung für unmoralisch gehalten werden. In praktisch jeder Rechtsordnung dieser Erde sind Abtreibungen verboten oder zumindest auf echte Konflikt- oder Ausnahmefälle begrenzt. Und das ist einfach etwas anderes als eine Impfung. Freilich gibt es noch zahlreiche Grenzfälle zwischen Impfung und Abtreibung, für die sich stets eine religiöse Einwendung finden wird. Insofern werden also die Gerichte noch einiges zu tun haben.
Die einfachste Möglichkeit wäre es freilich, den Arbeitnehmern die Entscheidung zu überlassen, wie, wogegen und bei wem sie sich krankenversichern lassen. Eine rein private Krankenversicherung, die ausschließlich vom Arbeitnehmer finanziert wird und für die der Arbeitgeber lediglich eine pauschale Lohnerhöhung zahlt, würde dieses Dilemma beheben. Der Staat könnte dann vorschreiben, dass zumindest die Notfallversorgung, die jedes Krankenhaus grundsätzlich leisten müsste, davon gedeckt sein muss. Alles andere wäre dann Sache des Versicherten. Der Arbeitgeber könnte ihm nicht dreinreden und müsste es umgekehrt auch nicht mit seinem Gewissen vereinbaren, wenn im Rahmen dieser Versicherung auch Dinge passieren, die ihm nicht recht sind.