Immer wieder werden in den Medien Fälle geschildert, in denen sich das Opfer einer Straftat gewehrt und unter Umständen dem Täter auch Verletzungen beigebracht hat. Der Abschlusssatz solcher Artikel lautet dann häufig „Die Polizei ermittelt nun wegen Körperverletzung“ – und zwar gegen das Opfer. Der kleine Bruder dieses Satzes ist die juristisch ziemlich unsinnige, aber gleichbedeutend gemeinte Aussage „Ihr/ihm droht nun eine Anzeige wegen Körperverletzung“.
Häufig Unverständnis bei Beobachtern
Häufig drücken Leser des Artikels – sei es nun in sozialen Netzwerken oder in den Kommentarsektionen der Presse selbst – dann ihr Unverständnis darüber aus, dass hier überhaupt ermittelt wird. Nicht selten wird aus den Ermittlungen heraus gleich geschlossen, dem Opfer drohe nun ein Strafprozess oder eine Verurteilung oder es sei bereits sicher, dass der Betroffene verurteilt werde. Und das kann ja nicht sein, das man verurteilt wird, obwohl man sich nur gewehrt hat. Was haben wir denn für einen Rechtsstaat? Warum schützt man die Täter und nicht die Opfer?
Diese Empörung ist durchaus verständlich, wie bereits die kritischen Anmerkungen zum Rechtsinstitut der Notwehr auf dieser Seite gezeigt haben. Aber in diesem Fall geht sie am Kern des Ganzen vorbei.
Ermittlungen sollen Wahrheit feststellen
Denn Ermittlungen sind zunächst einmal nichts Schlimmes. Das sieht der Beschuldigte freilich anders, aber es bedeutet nur, dass Polizei und Staatsanwaltschaft sich einen Vorgang anschauen und prüfen, wer sich weswegen möglicherweise strafbar gemacht hat. Dafür sind diese Institutionen nunmal da.
Nehmen wir mal einen ganz extremen Fall: Die Polizei trifft nach einem Notruf ein, dort liegt ein blutüberströmter Mann mit tiefer Stichwunde im Bauch, eine andere Person hat das Messer noch in der Hand und sagt, die wäre angegriffen worden und habe sich nur gewehrt. Soll der Polizist nun sagen „Ach so, dann ist ja alles in Ordnung, wir fahren wieder, schönen Abend noch“? Selbstverständlich müssen die Behörden hier ermitteln und dies geschieht im Rahmen eines gesetzlich geregelten Verfahrens. Nicht jedes Ermittlungsverfahren führt indes zur Anklage, nicht jede Anklage zu einem Prozess und nicht jeder Prozess zu einer Verurteilung.
Aber die Justiz muss nun einmal schauen, was wirklich passiert ist. Es ist durchaus in unser aller Interesse, dass die Sache nicht deswegen automatisch abgeschlossen ist, weil irgendjemand laut „Notwehr, Notwehr!“ ruft. Es muss geprüft werden, ob eine Notwehrsituation vorlag. Denn es gibt viele Fälle, in denen keine Notwehr gegeben war. Diese Fälle führen dann aber auch noch nicht zwangsläufig zu einer Verurteilung.
Manche Urteile sind empörenswert, nicht schon Ermittlungen
Man muss sich einfach dessen bewusst sein, dass nicht jeder in der Zeitung formulierte Verdacht einer Straftat wahr ist – und auch nicht jede in der Zeitung gemutmaßte Notwehrsituation wirklich gegeben war. Es muss ermittelt werden, weil es keinen Missbrauch des Notwehrrechts geben darf, weil das auch das so wichtige Rechtsinstitut der Notwehr beschädigen würde.
Wenn man sich über etwas empören will, dann über die enge Auslegung der Notwehr durch die Gerichte in Urteilen – und nicht über die Prüfung des Sachverhalts durch die Staatsanwaltschaften.
2 Gedanken zu „Notwehr (V) – Warum wird da überhaupt ermittelt?“
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