Grüner Vorschlag: Die Pflichtrevision

justice-2060093_1920 (1)Die Revision ist in der Regel das letzte Rechtsmittel im Fachrechtsweg, danach gibt es nur noch die Verfassungsbeschwerde. Bei einer Revision wird das Urteil ausschließlich auf Rechtsfehler überprüft, eine Anfechtung der Tatsachenfeststellungen (also z.B. der Beweiswürdigung) findet nicht mehr statt.

Parteiautonomie im Zivilprozess

Im Zivilrecht ist die Revision seit jeher ein Rechtsmittel mit Ausnahmecharakter Fast ein Jahrhundert lang war sie nur zulässig, wenn der Rechtsweg schon beim Landgericht (also nicht etwa beim niederen Amtsgericht) begonnen hatte. Heute bedarf sie der Zulassung durch das Gericht der zweiten Instanz. Gegen dessen Willen kann man die Sache nur über die Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof bringen – was aber erst ab 20.000 Euro Streitsumme geht und in manchen Rechtsbereichen ganz ausgeschlossen ist.

Nun ist es aber ein eherner Grundsatz des Zivilprozessrechts, dass die Parteien über das Schicksal ihres Prozesses selbst entscheiden können. Sie können – soweit zulässig – Revision einlegen, es aber auch lassen. Man kann auch vorher schon die Klage zurücknehmen, die Forderung anerkennen oder sich im Wege eines Vergleichs einigen. Das ist Ausdruck der sogenannten Parteiautonomie. Der Staat in Gestalt des angerufenen Gerichts kann nur soweit entscheiden wie überhaupt noch ein Streit vorhanden ist.

porsche-2872152_1920Grüne: Revisionsentscheidung auch ohne Revision

Dies wollen die Grünen künftig ändern. Ihnen ist es ein Dorn im Auge, dass die Automobilindustrie allzuoft Vergleiche mit Klägern im Rahmen des Abgasskandals abgeschlossen habe, um ein Urteil des Bundesgerichtshofs zu verhindern, auf das sich dann möglicherweise andere Personen berufen könnten.

Daher wollen sie eine ZPO-Änderung durchsetzen, wonach der BGH trotzdem über die Revision entscheiden kann, auch wenn es gar keinen Streit mehr gibt.

Zum einen ist dieser Vorschlag nicht besonders überraschend und nicht einmal „typisch grün“. Er bestätigt lediglich die Tendenz des Rechtsmittelrechts, dass immer mehr die Fortbildung des Rechts und die allgemeine Gesetzesauslegung in den Mittelpunkt rücken und die Parteien und ihre juristischen Anliegen nur noch Mittel zum Zweck sind.

Sicherzustellen, dass das Urteil richtig ist, ist schon länger nicht mehr der Hauptzweck der Prozessordnungen, die immer mehr auf Effizienz und Kostenersparnis (natürlich nur zum Vorteil des Staates, nicht etwa der Parteien) ausgelegt sind.

Diese Erzwingung von allgemein gültigen Urteilen funktioniert aber auch nicht unbedingt. Denn in Deutschland haben Urteile, auch Urteile der Obergerichte, keine Bindungswirkung in anderen Verfahren. Natürlich werden Richter häufig dem folgen, was der BGH vorgibt. Aber jeder Rechtsstreit ist ein Einzelfall und es kann auch sein, dass sich die gefundenen Ergebnisse eben nicht ohne Weiteres übertragen lassen.

Vergleiche nicht mehr bedeutend?

Mit der Parteiautonomie kommt aber ein ganz wesentlicher Grundsatz des Rechtsstaats unter die Räder.

Bemerkenswert ist es aber schon, dass Vergleiche auf einmal doch nicht mehr so wichtig sein sollen. In den letzten Jahren wurden Richter immer mehr dazu angehalten, die Streitigkeiten doch bitte gütlich zu lösen. Wenn sich die Parteien einigen, dann ist das besser für alle – vor allem für das Gericht, das dann kein langwieriges Urteil schreiben muss.

shaking-hands-3091906_1920Nun sollen Vergleiche aber auf einmal gar keine Wirkung mehr haben dürfen, wenn sie politisch nicht genehm sind. Wenn man sich ein Urteil des BGH erhofft, das die Autoindustrie – den verdammungswürdigsten Gewerbezweig auf Gottes Erdboden – schädigt, dann muss das natürlich auch ergeben, sogar dann, wenn sich die Beteiligten längst einvernehmlich auseinandergesetzt haben.

Dies widerspricht aber der autonomen Entscheidung der Beteiligten, dass sie selbst eine Lösung gefunden haben und sich der Staat damit nicht mehr in ihre frühere Auseinandersetzung einzumischen hat. Die Bürger und ihre rechtlichen Probleme sind keine Verfügungsmasse für den Staat, um interessante juristische Fragen zu klären, vielmehr hat der Staat allenfalls das Amt des neutralen Wächters inne, der bei nicht beilegbaren Konflikten eine Entscheidung anbietet.

So ganz nebenbei ist auch anzumerken, dass der Staat selbst gerne mal in Vergleiche geht. Bei Menschenrechtsbeschwerden vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte kauft die Bundesrepublik den Klägern ihre Klage ganz gerne ab. Da wird eine Kompensationszahlung angeboten, um kein missliebiges Urteil des EGMR zu erhalten. Dass die Grünen das abschaffen wollen, ist mir jedenfalls nicht bekannt.

Rechtsfrieden wird gestört

Noch absurder wird es, wenn man sich die Auswirkungen auf den Rechtsfrieden anschaut: Ein Vergleich ist immer mit einem teilweisen Nachgeben verbunden. Manchmal fifty-fifty, aber es gibt auch Vergleiche, in denen man nur 10 % oder auch mal 90 % der eingeforderten Summe bekommt – je nach Erfolgsaussichten.

Danach besteht aber die Gefahr, dass diese friedliche Lösung völlig konterkariert wird, wenn das Revisionsgericht trotzdem entscheiden muss. Stellen Sie sich einen Kläger vor, der gerade mit 25 % der Klagesumme einen guten Schnitt gemacht zu haben scheint, dem der BGH aber dann nach einigen Monaten bescheinigt, dass er eigentlich voll gewonnen hätte. Der wird dem Gegner, seinem Anwalt und vielleicht auch dem Rechtsstaat insgesamt feindlich gegenüber stehen.

Dies alles in der vagen Hoffnung zu riskieren, man bekomme dann endlich die erhofften Grundsatzurteile, ist fahrlässig.

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