Abmahnungen

Abmahnungen sorgen immer wieder für Schlagzeilen, nicht nur in der Welt der Juristerei. Dass die bisherige Praxis nicht nur politisch inakzeptabel, sondern auch juristisch fragwürdig ist, soll dieser Beitrag zeigen. Und auch, wenn sich das Datum anbieten würde – nichts davon ist ein Aprilscherz.

Eine kurze Erläuterung zum Sprachgebrauch: Hier wird in der Regel nur pauschal von „Abmahnung“ die Rede sein. In Wirklichkeit geht es sowohl um die Abmahnung im engeren Sinne (also die Aufforderung, ein bestimmtes rechtswidriges Handeln in Zukunft zu unterlassen) als auch um die in der Regel parallel vorliegende Aufforderung zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung.

A. Hinführung

Die Tatsache, dass die Kosten außergerichtlicher Abmahnungen ersetzt werden müssen, ist nicht etwa einer übersehenen Gesetzeslücke geschuldet. Im Gegenteil, es gibt – von der eher selten einschlägigen Sondervorschrift des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, auf die aber genauso die Ausführungen über die Erforderlichkeit (unten Ziffer 4) zutreffen – keine Vorschrift, die etwas derartiges anordnet. Es handelt sich im wesentlichen um eine richterliche Rechtsfortbildung, die aus dem Rechtsinstitut der Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA) entwickelt wurde. Schon dem hierfür maßgeblichen § 677 BGB sieht man kaum an, dass er sich für die Anwendung auf Abmahnfälle auch nur im mindesten eignet:

Wer ein Geschäft für einen anderen besorgt, ohne von ihm beauftragt oder ihm gegenüber sonst dazu berechtigt zu sein, hat das Geschäft so zu führen, wie das Interesse des Geschäftsherrn mit Rücksicht auf dessen wirklichen oder mutmaßlichen Willen es erfordert.

Über § 683 BGB gelangt man dann zum Ersatzanspruch des „Geschäftsführenden“, also des Abmahnenden, für seine Aufwendungen, also die Anwaltskosten. An sich soll dieser Paragraph sicherstellen, dass jemand, der uneigennützig hilft („ein Geschäft für einen anderen besorgt“), nicht auf seinen Kosten sitzenbleibt. Schulbeispiel hierfür ist jemand (Geschäftsführer), der das brennende Haus des Nachbarn (Geschäftsherr) löscht (Geschäftsführung) und dann wenigstens den Feuerlöscher (Aufwendungen) ersetzt bekommen soll. Die Interessenlage bei Abmahnungen müsste wenigstens vergleichbar sein, um eine Anwendung der genannten Paragraphen zu rechtfertigen: Der Abmahnende (Geschäftsführer) geht zum Anwalt (Geschäftsführung), läßt diesen einen Brief an den Abgemahnten (Geschäftsherr) schreiben und will die Anwaltskosten (Aufwendungen) ersetzt bekommen.

B. Rechtliche Prüfung

Für den Anspruch aus § 683 müssen folgende Kriterien zu bejahen sein: – Fremdheit des Geschäfts – Fremdgeschäftsführungswille – Berechtigung – Erforderlichkeit der Kosten

1. Fremdheit des Geschäfts

Bereits am Einstieg in das Recht der GoA scheitert man im Grunde: Wer zu einem Anwalt geht, nimmt gerade kein fremdes Geschäft wahr; im Gegenteil, er kümmert sich damit nur um seine eigenen Angelegenheiten. Involviert sind nur der Anwalt und sein Mandant; um fremde Rechtsprobleme darf er sich selbstverständlich gar nicht kümmern. Hier behilft man sich mit der (nicht nur bei Abmahnungen verwendeten) Konstruktion des „auch-fremden“ Geschäfts. Wenn ein Geschäft also zumindest auch eine Komponente hat, die nicht ausschließlich den Geschäftsführer selbst betrifft, dann wird die Fremdbezogenheit vermutet. Schon hier sieht man das Bemühen um Ausweitung der Vorschriften. Es ist kaum ein Geschäft denkbar, das keinerlei Bezug zu einem fremden Rechtskreis besitzt – und wenn doch, dann würde der Erstattungsanspruch schon daran scheitern, dass es keinen anderen geben kann, der zahlen soll. Das Merkmal des fremden Geschäfts wird also völlig bedetungslos: Wann immer ein anderer beteiligt ist, ist der Weg zur GoA eröffnet.

2. Fremdgeschäftsführungswille

Der Wille zur Fremdgeschäftsführung wird nach dem oben Gesagten vermutet; der Abgemahnte müsste also beweisen, dass der Abmahner kein fremdes Geschäft führen wollte. Das wird ihm hier jedoch ohne jede Schwierigkeit gelingen; es ist geradezu abenteuerlich, anzunehmen, der Abmahnende wollte sich hier um die Angelegenheit des anderen kümmern. Er will selbstverständlich nur sein eigenes Recht wahrnehmen.

3. Berechtigung

Bereits nach den ersten beiden Kriterien scheitert die Anwendung der GoA unrettbar. Völlig hanebüchen wird die juristische Argumentation aber bei der Frage nach der Berechtigung der Abmahnung. Um Aufwendungen ersetzt zu bekommen, müsste der Geschäftsführer nämlich zu seinen Handlungen berechtigt gewesen sein. Richtschnur dafür ist der Wille des Abgemahnten, § 683 BGB.

a) Öffentliches Interesse

Dessen Wille wäre nur unbeachtlich, wenn der Geschäftsführer eine im öffentlichen Interesse stehende Pflicht erfüllen würde. In aller Regel wird es aber nur um private Interessen gehen: Ein fehlendes Impressum, ein unrechtmäßig verwendetes Bild oder eine falsche Tatsachenbehauptung verletzen das öffentliche Interesse mit Sicherheit nicht. Will man damit argumentieren, dass jede gesetzliche auch eine öffentliche interessierende Pflicht ist, dann steht dem der Wortlaut des § 679 BGB unzweifelhaft entgegen. Bei den Unterhaltspflichten wird die gesetzliche Verankerung ausdrücklich verlangt; nichts anderes hätte man bei den sonstigen Pflichten tun können. dass man dort stattdessen die komplizierte Formel „eine Pflicht des Geschäftsherrn, deren Erfüllung im öffentlichen Interesse liegt“ gewählt hat, zeigt, dass nicht einfach jede gesetzliche Pflicht von jedem beliebigen Dritten erfüllt werden soll. Wenn es dem Staat darum geht, dass objektiv bestehende Rechtsnormen auch eingehalten werden, dann muss er sich schon selbst darum kümmern; dies ist sogar seine Kernkompetenz. Vielleicht ist er dazu aber auch gar nicht mehr in der Lage, nachdem er sich in letzter Zeit immer mehr Aufgaben einverleibt. Trotzdem kann es nicht der Sinn der Abmahnung sein, dass Private zu Ordnungshütern werden. Wo sie persönlich betroffen sind, können sie freilich über die Vorschriften bzgl. Notwehr und Notstand handeln; dadurch wäre z.B. gedeckt, bei einer wettbewerbswidrigen eBay-Auktion mitzubieten, um den Verkauf zu verhinden. Eine darüberhinausgehende Rechtsbewahrungsfunktion kommt Konkurrenten aber mit Sicherheit nicht zu.

b) Interesse des Abgemahnten

Es kommt also auf das Interesse des Abgemahnten an. Hier wird gemeinhin argumentiert, dass es ja zu seinem Vorteil sei, wenn die Sache ohne einen Prozeß, sondern durch die außergerichtliche Abmahnung geklärt wird. Übersehen wird dabei aber, dass derjenige, der direkt eine Klage einreicht, gemäß § 93 ZPO die Kosten eines Verfahrens zu tragen hätte, wenn der Beklagte (also der hier Abgemahnte) den Anspruch auf Unterlassung sofort anerkennt. Dies ist insofern völlig folgerichtig, als es allgemein üblich ist, zunächst mit dem Anspruchsgegner direkt zu sprechen, anstatt gleich zum Gericht zu laufen. Es käme auch kein Handwerker auf die Idee, den Auftraggeber schon einmal vorsichtshalber auf Bezahlung der Rechnung zu verklagen. Der Abgemahnte hingegen muss die Kosten immer selbst tragen. dass es trotzdem in seinem Interesse sein soll, für eine außergerichtliche Übereinkunft zu zahlen anstatt ein für ihn kostenloses gerichtliches Urteil zu erhalten, leuchtet keinesfalls ein.

4. Rechtsfolge: Ersatz erforderlicher Aufwendungen

Schließlich müssten die Aufwendung auch noch erforderlich sein. Ohne Zweifel würde in aller Regel schon ein einfacher Brief reichen. Das Argument, es bedürfte der rechtlichen Prüfung durch einen Fachmann, ist abwegig; wer sich im geschäftlichen Verkehr bewegt, muss die damit einhergehenden Auseinandersetzung auch zumindest grob selbst entscheiden können. Im obigen Beispiel braucht der Handwerker schließlich auch keinen Anwalt, der ihm darlegt, dass er auch die Materialkosten verlangen kann – und wenn er ihn doch braucht, dann muss er ihn eben auch selbst bezahlen. Eine Abmahnung kann jeder ohne große Kosten selbst formulieren, in Zeiten des Internets sowieso; und wenn der Wortlaut dann vielleicht nicht gar so professionell ist, steht ihm § 157 BGB zur Seite, der eine Auslegung nach dem tatsächlich in der Laiensprache Gemeinten vorschreibt.

Auch die oft beschworene abschreckende Wirkung der Abmahnung selbst verkehrt sich in ihr Gegenteil. Die Forderung dieses Textes ist es ja nicht, Abmahnungen grundsätzlich zu verbieten; nur muss der erste Schritt eben der kostengünstigste sein, der zur Verfügung steht und Erfolg verspricht. Bleibt dieser wirkungslos, dann kann durchaus zur Abmahnung durch einen Anwalt und evtl. zur Klage gegriffen werden. In aller Regel wird schon diese Androhung völlig ausreichen, um die Wiederholungsgefahr völlig zu bannen. Wobei sich aber auch die Wiederholungsgefahr als sehr fragwürdig darstellt. § 1004 Abs. 1, der auf den ersten Blick nur das Eigentum schützt, allerdings analog auf viele andere Rechte angewandt wird, gibt in Satz 1 ein Recht auf Beseitigung der Störung bei Erstbegehung; dies ist quasi der Grundfall der Abmahnung. Nur, wenn ausnahmsweise weitere Beeinträchtigungen zu befürchten (das Gesetz sagt: „zu besorgen“) sind, kann gemäß Satz 2 auf Unterlassung geklagt werden. Nun haben die deutschen Gerichte einen bemerkenswerten Trick angewandt, um zu einer Befugnis auf Unterlassungsklage (und damit auch zu einem Anspruch auf Abgabe einer strafbewährten Unterlassungserklärung) zu gelangen: Aus der Erstbegehung wird auf Wiederholungsgefahr geschlossen. Das Gesetz, das diese beiden Dinge fein säuberlich auseinandergehalten und verschiedene Rechtsfolgen vorgesehen hat, wird auf diese Weise völlig umgangen.

Zur Erforderlichkeit würde aber auch gehören, dass das Vorgehen geeignet ist, weitere ähnliche Vorkommnisse zu eliminieren. Der Unterlassungsanspruch ist grundsätzlich nicht von einem Verschulden abhängig, man kann auch jemanden abmahnen, der nichts „dafür kann“; eine Unterlassungsklage würde aber nur für Fälle der schuldhaften Wiederholung gelten. Die Gefahr, dass der Abgemahnte weiterhin schuldlos entsprechende Rechtsverstöße begeht, wird also keineswegs ausgeschlossen. Man kann darauf abstellen, dass dem Abgemahnten durch die Abmahnung erst Kenntnis von seinem Fehlverhalten verschafft wird. Dementsprechend müsste er nun besondere Vorsicht walten lassen, um nicht fahrlässig und damit schuldhaft zu handeln. Dann gäbe es zum einen aber keinen Grund, neben der Abmahnung im engeren Sinne auch „vorsorglich“ eine Unterlassungserklärung zu fordern. Denn schließlich handelt es sich dabei ja nicht nur um das Versprechen, eine bestimmte Handlung zu unterlassen. Wenn der Abgemahnte nämlich gegen das Versprechen verstößt, dann muss der Abmahnende nicht, wie sonst üblich, einen verursachten Schaden und die Schuld des anderen daran detailliert darlegen, sondern er kann pauschal die vereinbarte Vertragsstrafe (einige bis viele tausend Euro) fordern. Eine derart unvorteilhafte Vereinbarung wird normalerweise niemand abschließen; dass er dazu nur aufgrund schuldlosen Fehlverhaltens verpflichtet sein soll, ist keinesfalls einzusehen. Schließlich müsste der Geschäftsführer (Abmahner) auch noch gemäß § 681 Satz 1 BGB dem Geschäftsherrn (Abgemahnter) seine Geschäftsführung sofort anzeigen. Die Geschäftsführung beginnt aber im Grunde bereits vor Kontaktierung des Anwalts, nämlich schon mit der Feststellung eines potentiellen Abmahngrundes.

In dem Moment, in dem der spätere Abmahner auch nur erwägt, gegen den Rechtsverstoß außergerichtlich vorzugehen, nimmt er bereits geschäftsartige bzw. -vorbereitende Handlungen vor – er zerbricht sich den Kopf des anderen. Folglich müsste er sofort mitteilen, was ihn stört und dass er dagegen nun ohne Auftrag vorgehen will. Außerdem muss er sogar die Entscheidung des Geschäftsherrn abwarten, sofern dies keine Gefahr heraufbeschwört. Diese Wertungen sind auch völlig logisch, da hier ja schließlich in die Angelegenheiten des Geschäftsherrn eingegriffen wird und er daher auch selbst entscheiden soll, wie diese Angelegenheiten erledigt werden sollen. dass dies hier völlig ignoriert wird, zeigt einmal mehr, dass explizit nur die hilfreichen, die Rechte des Geschäftsführers festschreibenden Regelungen der GoA herangezogen werden sollen, die dahinterstehenden interessengerechten Wertungen aber nicht weiter berücksichtigt werden. Auch die Regelung des § 826 BGB muss ihren Niederschlag finden: Wer einen Konkurrenten kostenpflichtig abmahnt, der will nicht ausschließlich sein Recht bekommen, dem geht es vielmehr (auch oder in erster Linie) darum, diesem die Anwaltskosten aufzubürden. Das stellt eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung dar, die gemäß § 826 BGB einen Schadensersatzanspruch nach sich zieht. Hier kann dieser Ersatz direkt durch Freistellung von den verlangten Kosten geschehen, der Ersatzanspruch löst sich also quasi in Luft auf. In der Rechtsprechung wurde hierauf ersichtlich noch überhaupt nicht eingegangen.

C. Resümee

Insgesamt wird hier das sinnvolle und einem gerechten Ausgleich dienende Rechtsinstitut der Geschäftsführung ohne Auftrag geradezu pervertiert. Ihm wird ein Regelungsgehalt aufgezwungen, der sich aus dem Wortlaut in keinster Weise ergibt. Über die dahinterstehenden Motive kann man nur mutmaßen; eines drängt sich aber förmlich auf: Anwälten soll eine schnelle, einfache und lukrative Verdienstquelle beschert werden. So erklärt sich auch die Tatsache, dass der zu Unrecht abgemahnte nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nur ganz ausnahmsweise seine Kosten ersetzt bekommt; es soll möglichst risikolos abgemahnt werden können. Dieser kollegiale Dienst, den die Richter der Anwaltschaft erweisen, ist eine Schande für den deutschen Justizbetrieb; die Gericht täten gut daran, diese Rechtsprechung baldmöglichst aufzugeben. Genauso sollten sich Anwälte im Klaren sein, dass diese Vorgehensweise ihrem Berufsethos alles andere als entgegenkommt; solange die Gerichte dieses Verhalten decken, mag es freilich im Interesse der Mandanten leider sogar ratsam sein.

Angesichts dieser Sachlage erscheint die Kritik des „Erman“, eines der renommiertesten BGB-Kommentare, geradezu gütig milde: „Diese Rechtsprechung (…) überspielt anerkannte Grundsätze des Schadensrechts, sie steht mit den sonst geltenden Prinzipien des (…) Kostenersatzes nicht im Einklang und führt über die Anwendung einer nicht passenden generalklauselartigen Bestimmung zu einem auch rechtspolitisch zumindest fragwürdigen Ergebnis.“

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