Fall Peggy: Lebenslänglich für einen geistig Behinderten

Im der ersten Auflage des „Peggy-Prozesses“ ist der Angeklagte Ulvi K. trotz eines angeblich nachgewiesenen Intelligenzquotienten von 68 zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden. Wie kann es nun sein, dass ein geistig Behinderter – auch, wenn das Verbrechen derart schwer war – zur Höchststrafe verurteilt wird?

Das Strafgesetzbuch kennt die Schuldunfähigkeit, § 20 StGB. Wer nicht zurechnungsfähig ist, kann für seine Handlungen auch nicht bestraft werden. Liegen diese Voraussetzungen nicht vollständig vor, ist der Täter zumindest teilweise zurechnungsfähig. Gemäß § 21 StGB liegt verminderte Schuldfähigkeit vor, wenn die „Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, bei Begehung der Tat erheblich vermindert“ ist.

Im Falle der verminderten Schuldfähigkeit kann das Gericht die Strafe mildern. Aus unweigerlicher lebenslanger Freiheitsstrafe, wie sie für Mord vorgesehen ist, wird dann eine Freiheitsstrafe zwischen drei und 15 Jahren. Aber: Es kann die Strafe mildern, es muss nicht. Leider lässt sich nicht nachvollziehen, ob das Gericht von dieser Milderung abgesehen hat. Wenn ja, wäre das jedenfalls die absolute Ausnahme. Wenn jemand nicht so richtig weiß, dass er Unrecht tut, dann muss sich das normalerweise auch im Strafmaß äußern. Wie das Gericht das hier möglicherweise begründet hat, müsste man dem erstinstanzlichen Urteil entnehmen. Dieses lässt sicher leider nicht online finden.

Denkbar wäre aber auch noch eine andere rechtliche Beurteilung: Auch ein geistig Behinderter kann die volle Einsichtsfähigkeit besitzen, dass Mord falsch ist. Er mag intellektuelle Defizite haben, das allein verschafft ihm noch keine Strafmilderung. Die Behinderung muss sich – siehe Gesetzestext – auf seine Fähigkeit, das Unrecht zu verstehen, auswirken. Wenn er trotzdem genau wie ein „Gesunder“ zwischen Richtig und Falsch, zwischen Recht und Unrecht, zwischen Erlaubt und Verboten abwägen konnte, ist § 21 StGB gar nicht erfüllt und eine Strafmilderung kommt von vornherein nicht in Betracht.

Auf welchem Weg das Gericht zum Urteil „lebenslänglich“ gelangt ist, lässt sich, wie gesagt, nicht herausfinden. Ob diese Härte, die mit dem Strafmaß auf jeden Fall verbunden war, gerechtfertigt war, muss man freilich im Lichte des im damaligen Urteil festgestellten Sachverhalts betrachten. Das aktuelle Wiederaufnahmeverfahren musste sich damit nicht beschäftigen, da es zu einem Freispruch kam und damit die Strafzumessung ohnehin nicht relevant war.

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