Die sechste Folge unserer Artikelreihe zu schlechter juristischer Argumentation. Alle Artikel, auch die künftigen, finden Sie unter dem gleichnamigen Schlagwort.
20. Ziehen Sie Analogien, wo keine sind
Sehr praktisch ist es, für seine Argumentation ein Urteil zu nehmen, das den meisten Leuten bekannt ist, z.B. die jüngste Abschlepp-Entscheidung des BGH. Es wurde ja in den Medien thematisiert, dass nur ortsübliche Kosten für Abschleppunternehmen ersatzfähig sind, und das haben doch (nicht nur) viele Autofahrer mitbekommen. Wenn Sie sich also darauf berufen, zeigen Sie schon mal, dass Sie Ahnung haben.
Und darauf können Sie dann Ihre Privattheorie satteln. Machen Sie doch bspw. Folgendes daraus: „Der BGH hat gesagt, dass man Falschparker nicht abschleppen darf, also darf man zukünftig auch über rote Ampel fahren.“ Wenn Ihnen jemand widerspricht, antworten Sie einfach herablassend „Ach so, dann macht der BGH das also falsch? Das solltest du den Richtern dort mal erklären, das finden die bestimmt total spannend. Hahaha…“
Dass der BGH weder das Abschleppen an sich für illegal erklärt noch die grundsätzliche Kostenerstattungspflicht in Frage gestellt hat, blenden Sie großzügig aus. Ebenso die Tatsache, dass es nicht um straßenverkehrsrechtliche Themen, sondern um einen Privatparkplatz gegangen ist. Und dass das Ganze erst recht nicht auf andere Verstöße anzuwenden ist, sollte Sie nicht stören.
21. Gehen Sie davon aus, dass nur Sie Ahnung haben
Allgemein ist ein gewisses Selbstbewusstsein immer hilfreich. Mehr als das: Gehen Sie grundsätzlich davon aus, dass nur Sie Ahnung haben und die anderen höchstwahrscheinlich nur zu blöd sind, Ihre Ausführungen zu verstehen. Sollte sich z.B. ein Ihrer Meinung entgegen stehendes Urteil nicht einfach ignorieren oder wegdiskutieren lassen, zweifeln Sie einfach die Berufsehre und/oder die Kompetenz der beteiligten Richter an.
22. Juristische Bildung schadet nur
Gern gesehen ist auch der Einwand, man dürfe das Recht nicht den Juristen überlassen. Denn bekanntlich können die ja eh alles nur verdrehen und totdiskutieren, während Laien (und vor allem Sie selbst) einen ungetrübten und direkten Blick auf Gesetz haben.
Eine solche Haltung mag in Naturwissenschaften denkbar sein. Wer weiß, vielleicht hindert eine universitäre Lehre, dass die kalte Fusion praktisch unmöglich ist, aufstrebende Wissenschaftler daran, überhaupt danach zu suchen. In der Juristerei ist das anders. Denn die Juristerei untersucht ja keine vorliegenden Tatsachen, sondern schafft sie sich selbst.
Gesetze werden vom Bundestag, Verordnungen von den Ministerien, kommunale Satzungen von den Gemeinderäten und Urteile von Gerichten geschrieben. Überall dort sitzen Juristen, die juristische Texte in juristischer Sprache zur Anwendung durch Juristen schreiben. Wer nun behauptet, Nichtjuristen könnten diese Texte besser lesen und interpretieren als Juristen, unterliegt einem gewaltigen Denkfehler. Denn diese Juristen wollten ja nicht einfach einen bestimmten Text in die Welt setzen und schauen, was passiert. Sie wollten damit eine bestimmte Rechtslage herbeiführen. Und um dies zu tun, haben sie natürlich die Worte gewählt, die nach Meinung aller Juristen möglichst genau die gewünschte Rechtslage ausdrücken. Wären sie davon ausgegangen, dass eine andere Interpretation ihrer Worte viel besser ist, hätten sie auch andere Worte gewählt.
Das wäre dann auch so, als würden Sie einem Physiker sagen, dass es falsch ist, Eisen als Eisen zu bezeichnen. Der richtige Ausdruck sei eigentlich Plutonium, während man Plutonium zutreffend „Zucker“ nennen müsste. Natürlich sind die Bezeichnungen für die Elemente willkürlich gewählt und man könnte sie ebenso gut anders nennen, aber es gibt nun einmal eine allgemein anerkannte Nomenklatur. Wer diese einfach wegwischt, belehrt nicht die Fachwelt eines besseren, sondern schließt sich selbst aus dieser aus.
23. Kontext wird überbewertet
In einem so weiten Feld wie der Rechtswissenschaft muss alles im Zusammenhang gesehen werden. Nicht nur im sachlichen, sondern auch im zeitlichen Kontext. Natürlich können auch Urteile des Reichsgerichts aus dem Kaiserreich oder der Weimarer Republik noch heute von Relevanz sein. Es kann aber auch sein, dass das heute überhaupt nicht mehr anwendbar ist, weil sich das zugrunde liegende Gesetz, die gesellschaftlichen Wertmaßstäbe oder die Rechtsprechung längst geändert haben. Ein Urteil wird deswegen noch lange nicht aufgehoben; allgemein wird ein rechtskräftiges Urteil praktisch nie aufgehoben, nur, weil es heute nicht mehr so gefällt würde. Dass ein bestimmtes Urteil mit einem bestimmten Tenor ergangen ist, ist nur der konkreten Rechtslage zu einer konkreten Zeit geschuldet und häufig auch nur im konkreten Fall von Bedeutung.