Zum heutigen Tag der Arbeit geben wir eine kurze Übersicht über ein arbeitsrechtliches Thema: Als „betriebliche Übung“ bezeichnet man eine regelmäßige Leistung des Arbeitgebers an seine Arbeitnehmer, die sich so verfestigt hat, dass ein Anspruch darauf entstanden ist. Diese kann unbeabsichtigt entstehen und ist dann wieder schwer aufzuheben. Für den Arbeitnehmer ist es dagegen schwer einzuschätzen, auf welche Leistungen er nun gefestigte Ansprüche hat.
In einem Arbeitsverhältnis gibt es verschiedene Rechtsquellen, die die gegenseitigen Rechte und Pflichten festlegen: Tarifverträge, der individuelle Arbeitvertrag und gesetzliche Vorschriften sind die wohl bedeutendsten. Aber auch aus der sogenannten betrieblichen Übung können bindende Regelungen entstehen.
Eine betriebliche Übung wird dann angenommen, wenn ein Zeit- und Umstandsfaktor erfüllt sind. Dies erinnert an das Rechtsinstitut der Verwirkung: Bei diesem kann ein an sich bestehendes Recht nicht mehr geltend gemacht werden, wenn ein Zeit- und ein Umstandsmoment gegeben sind. Bei der betrieblichen Übung ist es umgekehrt, hier entsteht ein an sich nicht bestehendes Recht, wenn eine Leistung vorbehaltslos gewährt wurde (Umstandsfaktor) und dies über eine gewisse Dauer (Zeitfaktor) geschehen ist.
Es handelt sich dabei um einen der ganz seltenen Fälle, in denen ein bindendes Recht dadurch entsteht, dass etwas freiwillig geleistet wurde.
Voraussetzungen
Beim häufigsten Fall der Sonderzahlungen und Gratifikationen, z.B. einem nicht vertraglich vorgesehenen, aber trotzdem gezahlten Weihnachtsgeld, reicht regelmäßig eine dreimalige Zahlung. Der Umstandsfaktor ist allerdings nur erfüllt, wenn nicht mit der Zahlung klargemacht wurde, dass die Leistung freiwillig erfolgt.
Im anderen Fällen ist das Entstehen der betrieblichen Übung hochgradig einzelfallabhängig. Dabei wird auf die Sicht des Arbeitnehmers abgestellt: Kann dieser aufgrund der Handlungen des Arbeitgebers davon ausgehen, dass sich dieser auf unbestimmte Zeit daran binden will, die Leistung weiter zu gewähren, liegt betriebliche Übung vor.
Die Verhinderung des Entstehens einer betrieblichen Übung ist daher relativ einfach. Es reicht, wenn ein entgegenstehender Wille des Arbeitgebers ausgedrückt wird. Dann ist kein Platz mehr für ein Vertrauen des Arbeitnehmers auf den Bestand der Leistung. Hierfür wird regelmäßig ein betriebliches Rundschreiben reichen; ob bspw. ein Aushang am Schwarzen Brett genügt, wird von der Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt.
Rechtliche Begründung
Wie man die betriebliche Übung juristisch einordnet, ist schwierig zu beantworten. Die herrschende Meinung geht wohl davon aus, dass es sich um eine vertragliche Vereinbarung handelt. Die Vereinbarung erfolgt konkludent, also durch schlüssiges Verhalten: Der Arbeitgeber bietet durch die mehrmalige Gewährung an, dies zukünftig immer so zu handhaben. Der Arbeitnehmer nimmt dies an, indem er nicht widerspricht – warum sollte er auch?
Diese Vertragstheorie ist am nächsten am allgemeinen Zivilrecht des BGB und lässt die betriebliche Übung nicht ganz so als Fremdkörper erscheinen. Allerdings kann sie nicht begründen, warum eine betriebliche Übung auch zugunsten neuer Arbeitnehmer gelten soll. Denn wer frisch in das Unternehmen einsteigt, hat nur seinen eigenen Arbeitsvertrag geschlossen, eventuelle frühere Leistungen an seine Kollegen haben mit ihm nichts zu tun und wurden von ihm auch nicht vertraglich angenommen. Trotzdem gilt die betriebliche Übung auch für ihn.
Insofern erscheint es richtiger, die betriebliche Übung als gewohnheitsrechtlich anerkanntes Rechtsinstitut zu begreifen. Die betriebliche Übung wird zu einem Teil des Betriebsverfassung, in deren Rahmen dann auch neue Arbeitsverträge geschlossen werden.
Keine einseitige Aufhebung möglich
Ist die betriebliche Übung (ggf. unfreiwillig) entstanden, stellt sich die Frage, ob und wie sie wieder aufgehoben werden kann. Da sie Teil des Vertrags geworden ist, ist eine einseitige Aufhebung jedenfalls nicht möglich.
Eine Aufhebung wegen betrieblicher Schwierigkeiten ist regelmäßig nicht möglich. Ein Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313) ist nicht gegeben, da wirtschaftliche Prosperität des Unternehmens nicht die Basis der Gewährung war.
Auch eine Anfechtung wegen Irrtums (§ 119) kommt regelmäßig nicht in Betracht. Denn der Arbeitgeber hat sich ja nicht darüber geirrt, dass er bestimmte Leistungen gewährt. Vielmehr hat er nicht gewusst oder nicht bedacht, dass er dadurch einen dauernden Anspruch schafft. Dabei handelt es sich aber um keinen Tatsachen-, sondern um einen Rechtsfolgenirrtum. Ein solcher ist aber nicht anfechtbar.
Keine Aufhebung durch gegenläufige Übung
Früher wurde die Möglichkeit einer sog. gegenläufigen betrieblichen Übung angenommen. Wenn die Leistung nicht mehr gewährt wurde und insoweit die Voraussetzungen einer betrieblichen Übung wiederum erfüllt sind, sollte diese neue betriebliche Übung die alte aufheben. Dies war schon in den seltensten Fällen gegeben, da dies regelmäßig zu Widerstand in der Belegschaft führte. Aber auch bei unwidersprochener Hinnahme soll eine betriebliche Übung nicht entstehen können.
Denn dies würde bedeuten, dass aus dem Schweigen ein Vertragsschluss folgt, was gemäß § 308 Nr. 5 nicht in AGB vereinbart werden kann. Da die Vereinbarung für den ganzen Betrieb gelten würde, liegen AGB vor – auch, wenn es sich nicht um das typische „Kleingedruckte“ handelt. Auf das Schweigen kann sich der Arbeitgeber nur berufen, wenn er den Arbeitnehmer auf die Auswirkungen seines Schweigens hingewiesen und ihm eine Widerspruchsfrist eingeräumt hat.
Aufhebung nur durch Änderungsvertrag/Änderungskündigung
Im Übrigen kann die betriebliche Übung nur durch abweichende vertragliche Vereinbarung geändert werden. Entweder schließt der Arbeitgeber mit jedem einzelnen Arbeitnehmer einen ausdrücklichen Änderungsvertrag. Einem solchen Änderungsvertrag wird ein Arbeitnehmer aber nur dann zustimmen, wenn er unter gewissem Druck steht.
Alternativ kann auch eine Änderungskündigung erfolgen; bei dieser kündigt der Arbeitgeber den bestehenden Arbeitsvertrag, bietet aber gleichzeitig den Abschluss eines neuen Vertrags zu geänderten Bedingungen (in diesem Fall: unter ausdrücklicher Abweichung von der entstandenen betrieblichen Übung) an. Auch diese Kündigung unterliegt aber den allgemeinen Voraussetzungen, bedarf also der Rechtfertigung, soweit Kündigungsschutz besteht. Die Motivation, eine betriebliche Übung zu beseitigen, wird die Voraussetzungen des Kündigungsschutzgesetzes nicht erfüllen.
Zusammenfassung
Die betriebliche Übung ist ein erhebliches Problem für die Rechtssicherheit in einem Arbeitsverhältnis. Da diese stillschweigend entsteht, gibt es häufig ganz unterschiedliche Meinungen darüber, ob und mit welchem Inhalt sie Vertragsinhalt geworden ist. Eine nicht-einvernehmliche Aufhebung ist praktisch kaum durchzusetzen. Aus Sicht des Arbeitgebers ist sie ein Anreiz, möglichst wenig an freiwilligen Leistungen zu erbringen, da er stets Gefahr läuft, sich unabsehbar zu binden.
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