Vince Ebert ist nicht nur diplomierter Physiker, sondern auch eine der wenigen Stimmen der Vernunft im ziemlich trostlosen deutschen Kabarett. In seinem Artikel über Zeitreisen auf Spektrum.de hat er einige nicht bierernst gemeinte, aber trotzdem recht interessante juristische Fragen aufgeworfen, denen wir uns heute widmen wollen.
Unabhängig von rein physikalischen Schwierigkeiten und dem eingangs erwähnten Vaterparadoxon, ergeben sich bei Zeitreisen in die Vergangenheit eine Reihe ethischer Probleme.
Das Bestehen von ethischen bzw. juristischen Problemen ist absolut richtig. Die deutschen Gesetze beschäftigen sich derzeit wenig, man möchte fast sagen: gar nicht, mit Zeitreisen. Das allein ist aber kein Hindernis. Ein gut formuliertes Gesetz ist grundsätzlich für technische und gesellschaftliche Neuerungen offen, man es allenfalls auslegen. Die Verfasser des BGB haben nie daran gedacht, dass irgendwann einmal ein Vertrag per WhatsApp-Chat geschlossen werden könnte, trotzdem kann man die allgemeinen Regeln auch in solchen Fällen anwenden.
Darf man zum Beispiel einen Zeitreisenden wegen Körperverletzung anklagen, wenn er seinem jüngeren Ich eins auf die Glocke gibt?
Eine Körperverletzung begeht gemäß § 223 Abs. 1 StGB, „wer eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit schädigt“. Jemand anderen zu schlagen, ist zweifellos eine Misshandlung und Gesundheitsschädigung, es ist geradezu das Paradebeispiel einer Körperverletzung.
Die Frage ist: Ist in diesem Szenario überhaupt eine „andere Person“ betroffen? Wird keine „andere Person“ verletzt, ist es jedenfalls keine Körperverletzung. Sich selbst darf man in aller Regel so übel zurichten wie man will. Ist also ein Zeitreisender, der auf die Vergangenheitsausgabe seiner selbst trifft, ein anderer Mensch als der, den er vor sich hat?
Von außen gesehen ist das eigentlich so. Für einen Betrachter stehen da zwei Menschen, die sich vielleicht etwas ähnlich sehen, die aber trotzdem klar unterscheidbar sind. Dass beide derselbe Mensch sein sollen und sich dieser Mensch gerade selbst schlägt, wird er kaum annehmen.
Aber sind wir derselbe Mensch, egal ob als Kind oder als Greis? „That’s a problem for future Homer. Man, I don’t envy that guy!“ meinte Homer Simpson einmal. Der Witz funktioniert nur, weil jeder weiß: Ich bin ich. Ich war ich und ich werde ich sein. Daher ist auch das zukünftige Ich, das in die Zeit des vergangenen Ichs reist, das gleiche Ich – und damit keine andere Person.
Das Ganze funktioniert auch in einem ganz normalen Szenario ohne Zeitreisen: Wenn ich heute in der Früh eine Bananenschale in meine Küche gelegt habe und gleich darauf ausrutsche, dann ist das nicht nur ein grandioser Gag, sondern auch eine (fahrlässige) Körperverletzung. Und wer hat die nun gegen wen begangen? Ich gegen mich selbst, sodass ich mich nur ärgern und niemanden zur Rechenschaft ziehen kann? Oder mein früheres Ich gegen mein jetziges Ich? Wenn man Letzteres annähme, was sollten dann die Folgen davon sein? Müsste mein früheres Ich meinem jetzigen Ich Schadenersatz aus meinem jetzigen Vermögen zahlen?
Der Mensch ist im Recht eine kontinuierliche Person, kein Sammelposten unterschiedlicher, aufeinander folgender Personen. Ansonsten wäre es ja auch sinnlos, jemanden für frühere Handlungen zur Rechenschaft zu ziehen oder sich für die Zukunft vertraglich zu binden. An diesem Kontinuum würden auch Zeitreisen nichts ändern.
Kann er wegen Bigamie verurteilt werden, wenn er in der Vergangenheit eine Frau heiratet, obwohl seine andere Frau erst in 20 Jahren auf die Welt kommen wird?
Wegen Doppelehe macht sich strafbar, wer verheiratet ist und mit einer dritten Person eine Ehe schließt (§ 172 Satz 1 StGB); das gleiche gilt natürlich auch für Lebenspartnerschaften.
Die Tat wird also im Zeitpunkt der zweiten Eheschließung begangen. Und da ist schon das Problem: Welche ist die zweite Eheschließung, wenn jemand im Jahr 2075 geheiratet hat, dann ins Jahr 2050 zurückreist und dort nochmal heiratet? Eine chronologische Betrachtungsweise scheidet hier völlig aus.
Wenn wir die Ehe des Jahres 2050 betrachten, dann müssen wir uns fragen, ob der Bräutigam hier bereits verheiratet ist. Die Antwort ist wiederum nicht so leicht: Ja, er ist verheiratet, denn er hat ja schon einmal geheiratet. Und nein, er ist nicht verheiratet, da die Ehe ja erst 2075 beginnen wird. Ob die 2050 geschlossene Ehe im Jahr 2075 noch besteht, weiß aber niemand. Sie könnte bis dahin geschieden worden sein oder die Braut könnte zwischenzeitlich sterben. (Oder der Bräutigam stirbt, bevor er seine Zeitreise antritt, was wiederum viele, viele Probleme nach sich ziehen würde, an die man nicht einmal denken will.) Insofern kommen sich die beiden Ehen nicht unbedingt in die Quere – und § 172 will ja nicht mehrere Ehen nacheinander verbieten, sondern nur mehrere gleichzeitig.
Bei der 2075er-Hochzeit dagegen wusste der Bräutigam ja gar nicht, dass er vor 25 Jahren schon einmal geheiratet hat bzw. dass er vor 25 Jahren schon einmal geheiratet haben wird – auch die deutsche Grammatik ist auf Zeitreisen noch nicht ganz vorbereitet. Insofern macht er sich also zumindest mangels Vorsatzes nicht strafbar.
Eine andere Frage wäre natürlich, was zivilrechtlich mit diesen Ehen passiert. § 1306 BGB besagt, dass ein Verheirateter nicht noch einmal heiraten kann – wenn er es dennoch tut, ist die Ehe aber trotzdem gültig, sie kann lediglich aufgehoben werden (§ 1314). Welche von beiden Ehen des Zeitreisenden dann aufgehoben werden müsste, wird die Rechtswissenschaft entscheiden müssen, wenn das Problem wirklich mal eingetreten ist. That’s a problem for future Bundesgerichtshof. Man, I don’t envy those guys!
Wie soll der Gesetzgeber reagieren, wenn er erfährt, dass ein Mann in der Gegenwart eine Frau geheiratet hat, die sich in der Vergangenheit als seine Tochter entpuppt?
Die Frage ist wohl noch am leichtesten zu klären. Auch braucht es dafür nicht den Gesetzgeber.
Denn § 1307 BGB sieht vor, dass Ehen nicht zwischen Verwandten geschlossen werden dürfen. Ansonsten sind auch diese Ehen wiederum nach § 1314 aufhebbar. Nicht entscheidend ist dafür, ob die Verwandtschaft im Moment der Hochzeit schon bekannt war. Sogar, wenn die Verwandtschaft erst nachträglich entsteht, weil z.B. die Frau ihren Mann adoptiert (warum auch immer man das machen sollte), wird die Ehe dadurch aufhebbar. An dem Ergebnis ändert sich also auch nichts, wenn eine Verwandtschaft erst nach größeren Anstrengungen (einschließlich einer Zeitreise) zu Tage tritt.
Resümee
Wir sehen wieder einmal: Das Recht lässt sich nicht so leicht erschüttern. Die Juristen sind einfach auf alles vorbereitet, was da kommen mag. Dass wir, wie Herr Ebert moniert, im Urlaub in den Odenwald reisen und nicht zu den alten Ägyptern, liegt einzig und allein daran, dass die Physiker mit ihrer Arbeit nicht weiter kommen.