Der weiße Cis-Mann in der Kanzlei

Geschlecht und sexuelle Ausrichtung der Mandanten sollten  keinen Anwalt interessieren.
Geschlecht und sexuelle Ausrichtung der Mandanten sollten keinen Anwalt interessieren.
In Berlin hat eine Kanzlei eröffnet, die sich ihrem Selbstverständnis nach vor allem an Minderheiten richtet. Diese Kanzlei hat bereits in verschiedenen Medien eine gewisse Berichterstattung bekommen. In einem (leider hinter der Paywall verborgenen) Artikel erklären die Gründerinnen anscheinend ihren Ansatz und werden wie folgt zitiert:

Der weiße Cis-Mann kann auch zu allen anderen Kanzleien gehen.

Um das mal zu übersetzen:

  • Weiß sind Menschen, denen man rein optisch eine andere als mitteleuropäische ethnische Herkunft nicht ansieht.
  • Cis- bedeutet, dass sich jemand durch eine Laune der Natur mit dem Geschlecht identifiziert, dem er auch tatsächlich biologisch angehört.
  • Mann ist immer noch Mann.

Ein solcher weißer Cis-Mann kann also, so die beiden Kolleginnen, zu allen möglichen Kanzleien gehen. Das ist sicher. Aber soll da etwa mitschwingen, dass eine Person, die nicht-weiß, nicht-cis und nicht-männlich ist, das nicht kann? Werden Frauen, vielleicht sogar schwarze Frauen, von Anwälten sofort vor die Tür gesetzt? Diese Vorstellung ist doch absurd.

Trotzdem werden die Kolleginnen nun in manchen Artikeln als Kanzlei für „Frauen und queere Menschen“ angepriesen. „Queer“ bedeutet nicht-heterosexuell. Anscheinend kann also ein weißer Cis-Mann, sofern er sich zum eigenen Geschlecht hingezogen fühlt, andere Kanzleien auch nicht besuchen.

Ich persönlich habe, wenn es nicht ausnahmsweise mal im Sachverhalt eine Bedeutung hat, überhaupt keine Ahnung von den sexuellen Vorlieben meiner Mandanten. In aller Regel weiß ich auch nicht, welche Hautfarbe sie haben, da ich meine Mandanten normalerweise nicht zu Gesicht bekomme. Allerdings muss ich mich schuldig bekennen, dass ich meist das Geschlecht von Mandanten aufgrund des Vornamens unterstelle.

Das alles spielt aber überhaupt keine Rolle für die Mandatsbearbeitung.

Ich suche mir meine Mandate durchaus beliebig aus. Aber aufgrund (für mich gesehen) relevanter Kriterien. Und „weißer Cis-Mann oder queere Frau?“ ist keines davon. Ich wüsste auch keinen Kollegen, der solche Nebensächlichkeiten ernsthaft beachtet. Aber natürlich, das soll jeder halten wie er mag.

Und wer es als Nische oder als Alleinstellungsmerkmal für sich entdeckt hat, sein Mandantenklientel nach bestimmten Kriterien auszusuchen oder diese ganz besonders anzusprechen, dem wünsche ich allen erdenklichen Erfolg.

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