Der Name Hinterkaifeck steht für ein großes bayerisches Verbrechen, das seit mehr als 100 Jahren ungeklärt ist. Sechs Personen wurden im Jahr 1922 auf einem Bauernhof bei Schrobenhausen ermordet. Eine Familie vom Kleinkind bis zu den Großeltern wurde ausgelöscht. Der Täter wurde bis heute nicht gefunden, obwohl die Ermittlungen bis in die 1980er-Jahre liefen und 2005 eine Polizeiakademie dem Fall widmete.
Wem die Geschichte nichts sagt, dem sei die gut verständliche Zusammenfassung auf Wikipedia nahegelegt.
Noch heute gibt es vielerlei Videos, Foren, Facebook-Gruppen, Führungen, Zeitungsartikel, Bücher und Filme zu diesen Geschehnissen. Leute aus aller Welt beschäftigen sich mit dem Fall. Ich selber habe Hinterkaifeck im Mai 2022 besucht. Aber wie kommt es, dass dieser eine Kriminalfall so viel Aufmerksamkeit bekommt?
Zum einen spielt sich das alles gewissermaßen in zwei verschiedenen Zeitzonen ab. Die Morde an der Familie Gruber-Gabriel geschahen in einer bäuerlichen Gesellschaft mit teilweise sehr altertümlichen Strukturen. Dort, wo man heiratete, wie es taktisch klug war, wie es die Hofsituation erforderte, wie die Familien es vereinbarten. Auf Hinterkaifeck gab es keinen Strom und man wohnte quasi unter einem Dach mit dem Vieh. Andererseits befinden wir uns hier im 20. Jahrhundert. Bayern und Deutschland waren Republiken. Die Polizei wurde nicht per reitendem Boten, sondern telephonisch verständigt.
Eine Rolle dürfte auch die Art und Weise spielen, wie an die Geschehnisse heute nachverfolgen kann. Die umfangreichen Akten aus mehreren Jahrzehnten werden bspw. auf der grandiosen Internetseite hinterkaifeck.net wiedergegeben, sodass jeder selbst ermitteln kann. Zugleich sind die greifbaren Beweise minimal. Es gibt gerade einmal fünf Bilder vom Tatort. Es gibt keine Bilder zu Lebzeiten der Mordopfer, niemand weiß mehr, wie diese ausgesehen haben. Sie bleiben gewissermaßen Phantome.
Wenn man den Tatort heute besichtigt, gibt es dort nicht viel zu sehen. Ein Marterl, ein Schaukasten. Der Hof wurde leider kurz nach der Tat abgerissen, weil sich verständlicherweise kein Nachmieter finden wollte. Heute wäre er mit Sicherheit ein gut besuchtes Museum. Aber jetzt wächst der Mais dort als wäre nie etwas gewesen. Das Waldstück „Hexenholz“ ist gar nicht unheimlich und das Rollrasenfeld daneben macht einen sehr klinischen Eindruck, der so gar nicht zum Schauplatz eines Mordes passt. Auf dem Friedhof im Ort steht ein sehr prominenter Grabstein über einem stets penibel gepflegten Grab. Grusel schaut eigentlich anders aus.
Und dann gibt es Theorien wie Sand am Meer. Einer der zentralen Verdächtigen war und ist Lorenz Schlittenbauer, der auf vielerlei Weise mit der Opferfamilie verbundene Nachbar. Für seine Täterschaft gibt es vielerlei Argumente, gegen seine Täterschaft aber auch. Insgesamt gibt es mindestens zehn verschiedene einigermaßen etablierte Tattheorien mit rundum 20 Verdächtigen. Andere Zählungen gehen von ca. 100 Personen aus, die irgendwann einmal verdächtig waren. Jeder kann seine eigene Überzeugung dazu haben und man kann sie mit einiger Sicherheit weder beweisen noch widerlegen.
Relativ sicher ist auch, dass man niemals eine definitive Klärung erreichen wird – falls man nicht die bisher geheimen Bänder der Hinterkaifecker Überwachungskamera findet.