Sonderstatusverhältnis: Die besondere Gewalt gegen Schüler, Beamte und Häftlinge

Grundrechte sind Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat. In allen anderen Konstellationen gelten Grundrechte nicht: Sie gelten nicht für den Bürger gegenüber dem anderen Bürger und nicht für Teile des Staates gegenüber dem Staat.

Nun hat sich gewohnheitsrechtlich die Figur entwickelt, dass Personen, die in die staatliche Organisation eingebunden sind, insoweit keine Grundrechte geltend machen können, da sie eben selbst Teil des Staates werden. Das nannte sich ursprünglich „besonderes Gewaltverhältnis“, heute bezeichnet man es weniger martialisch als „Sonderstatusverhältnis“ oder „Sonderrechtsverhältnis“. Ein Beamter (das typische Beispiel) ist also in seiner Dienstzeit kein individuelles Wesen mehr, das seine Grundrechte ausübt, sondern ein neutrales Werkzeug des Staates. Als solcher kann er bspw. nicht jederzeit seine Meinung sagen (Art. 5 Abs. 1 GG) oder dem normalen Bürger nicht auch noch als Vertreter eines Verein (Art. 9 Abs. 1 GG) entgegentreten.

Was gegenüber Beamten und Soldaten noch nachvollziehbar ist, wird äußerst schwierig, wenn es auf Gruppen angewandt wird, die so gar nicht freiwillig Teil der staatlichen Institutionen geworden sind: Schüler und Strafgefangene.

Auch diese sollten nach der ursprünglichen Lehre unter einem Sonderstatus stehen und damit nicht von Grundrechten geschützt werden. Die Problematik ist dabei aber weniger, dass die Grundrechte nicht gelten. Auch, wenn sie gelten, wären sie in diesen Situationen wohl erheblich eingeschränkt. Beim Häftling schränkt schon allein die Tatsache, dass er eben eine Freiheitsstrafe verbüßt, seine Freizügigkeit aus Artikel 11 des Grundgesetzes ein. Denn in alle Grundrechte kann ja bekanntlich durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Das Besondere an den besonderen Gewaltverhältnissen war vielmehr, dass all diese Eingriffe ohne gesetzliche Grundlage passieren konnten. Es reichte eben eine Schulordnung, ein Beschluss der Gefängnisleitung, eine Anweisung des Dienstvorgesetzten usw. aus, um die Rechte der „Untergebenen“ einzuschränken. An der Vergangenheitsform merkt man schon, dass die Theorie der Sonderrechtsverhältnisse heute großteils aufgegeben sind. Und das ist auch vollkommen richtig: Gerade diejenigen, die unfreiwillig unter der besonderen Einwirkung des Staates stehen, müssen durch die Grundrechte geschützt werden.

Das entscheidende Urteil, mit dem das Sonderstatusverhältnis für diese Gruppen endlich zurückgewiesen wurde, war das Strafgefangenen-Urteil des BVerfG von 1972 (BVerfGE 33, 1), das folgendes feststellte:

1. Auch die Grundrechte von Strafgefangenen können nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden.
2. Eingriffe in die Grundrechte von Strafgefangenen, die keine gesetzliche Grundlage haben, müssen jedoch für eine gewisse Übergangsfrist hingenommen werden.
3. Eine Einschränkung der Grundrechte des Strafgefangenen kommt nur in Betracht, wenn sie zur Erreichung eines von der Wertordnung des Grundgesetzes gedeckten gemeinschaftsbezogenen Zweckes unerläßlich ist.
4. Es wird Aufgabe eines Strafvollzugsgesetzes sein, eine Grenze zu ziehen, die sowohl der Meinungsfreiheit des Gefangenen wie den unabdingbaren Erfordernissen eines geordneten und sinnvollen Strafvollzuges angemessen Rechnung trägt.

Am letzten Satz kann man schon sehen, dass es zu dieser Zeit noch kein Strafvollzugsgesetz gab. Dieses wurde erst 1976 mit Wirkung ab 1.1.1977 von Bundestag und Bundesrat verabschiedet. Man hat sich also noch knapp fünf Jahre dafür Zeit gelassen und die „gewisse Übergangsfrist“ durchaus ausgereizt. Mittlerweile ist das Recht des Strafvollzugs, das ganz sicher nicht auch noch vom Bund geregelt werden muss, in die Zuständigkeit der Länder zurückgekehrt. Bspw. regelt das bayerische Strafvollzugsgesetz nun die im oben genannten Urteil strittige Überwachung des Briefverkehrs in den Artikeln 31 ff.

An der Position der Strafgefangenen hat sich durch die Vergesetzlichung alleine sicher nicht viel geändert. Sie sind nach wie vor hinter dicken Mauern eingesperrt und atmen die sprichwörtliche „gesiebte Luft“. Wahrscheinlich wäre heute auch nach der alten Sonderstatuslehre der Strafvollzug gesetzlich geregelt, weil es eben eine allgemeine Tendenz dazu gibt, alle Lebensbereiche durchzuregulieren.

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