Das Finanzgericht, Paintball und die Werteordnung unserer Gesellschaft

Wenn ein Verein als gemeinnützig gilt, hat das für ihn eine Reihe steuerlicher und sonstiger Vorteile. Darum bemühen sich Vereine in aller Regel um diese Anerkennung durch das Finanzamt. Lehnt dieses ab, steht natürlich der Rechtsweg offen. Und so kam es, dass sich das Finanzgericht Rheinland-Pfalz in Neustadt an der Weinstraße unlängst damit beschäftigen musste, ob auch ein Paintball-Verein gemeinnützig ist. Paintball ist bekanntlich ein Sport, bei dem sich die beiden Mannschaften mit Druckluftgewehren und Farbkugeln abschießen („markieren“).

Das Urteil des Finanzgerichts (19.02.2014, Az. 1 K 2423/11) ist leider nicht im Wortlaut online verfügbar. Aus verschiedenen Pressemitteilungen und Berichten ist sein wesentlicher Inhalt aber bekannt geworden. Und daraus muss man leider schlussfolgern, dass diese Entscheidung – in Paintball-Sprache – wohl ein deutlicher Fehlschuss ist.

Die streitentscheidende Norm ist § 52 der Abgabenordnung:

(1) Eine Körperschaft verfolgt gemeinnützige Zwecke, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern. (…)
(2) Unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 sind als Förderung der Allgemeinheit anzuerkennen:
21. die Förderung des Sports (Schach gilt als Sport)

Dass diese Voraussetzungen für einen Paintball-Verein nicht vorliegen, führt das Gericht wortgewaltig aus. Man kann sich lebhaft vorstellen, welche Empörung bei den Richtern vorgeherrscht haben muss, dass sie die Klage nicht nur zurückgewiesen, sondern geradezu pulverisiert haben:

der Verein verfolge aber gleichzeitig eine Tätigkeit, die als allgemeinwohlschädlich einzuordnen sei. Paintball-Spiele aller Variationen entsprächen nicht der Wertordnung unserer Gesellschaft, weil die Gefahr des Abstumpfens, des Abbaus von Hemmschwellen und der Förderung der Anwendung von Gewalt bestehe.

Mehr noch:

Der zweifelsfrei vorhandene Gesichtspunkt der Ausübung und Steigerung körperlicher Aktivitäten und des Wettkampfes werde in gemeinnützigkeitsschädlicher Weise von dem Aspekt der simulierten Tötung oder Verletzung von Menschen während des Spielsverlaufs massiv überlagert. Die vom Kläger vorgelegten Videos von verschiedenen Paintballveranstaltungen dokumentierten Spielverläufe, die an kriegerische Auseinandersetzungen zwischen (jedenfalls zum großen Teil) martialisch verkleideten Teilnehmern erinnerten und nicht zuletzt den Eindruck einer militärischen Übung etwa in der Form eines „Häuserkampfes“ vermittelten.

Und schließlich:

Beim Paintballspiel hingegen werde sogar tatsächlich auf reale Menschen geschossen, weshalb dieses Spiel mit der Werteordnung unserer Gesellschaft nicht ansatzweise in Einklang zu bringen sei.

(Zitate nach juris.)

Diese juristischen Hammerschläge muss man freilich erst einmal verdauen. Richtig, beim Paintball wird auf Gegner geschossen. Wer getroffen ist, ist draußen. Das erinnert fatal an den Krieg – oder an Völkerball. Völkerball als simulierte Tötung von Menschen zu begreifen, könnte dessen Rolle im Grundschulsport beenden…

Mit leichtem Unglauben liest man, dass das Paintballspiel das Allgemeinwohl quasi im Visier habe. Das ist schon deswegen bemerkenswert, weil das Gemeinwohl derart unscharfe Konturen besitzt, dass jede Kugel gleichsam durch das Gemeinwohl hindurch fliegen müsste. Dass das Gemeinwohl, also das Gesamtinteresse der Gesellschaft, dadurch berührt werden soll, was einige Menschen freiwillig und in ihrer Freizeit machen, ist schon bemerkenswert. Aber das ist nur der Auftakt.

Wer die „Gefahr des Abstumpfens, des Abbaus von Hemmschwellen und der Förderung der Anwendung von Gewalt“ heraufbeschwört, macht es sich viel zu einfach. Statt die wahren Ursachen tragischer Ereignisse, die oftmals vielschichtig und manchmal nicht genau feststellbar sind, zu erkunden, bedient man sich lieber Klischees und schematischer Schlussfolgerungen. Dass weder die verpönten Computerspiele („Ego-Shooter“) noch die Mitgliedschaft im Schützenverein noch das Paintball-Spielen irgendeinen statistisch relevanten Beitrag zu Straftaten liefern, ist durch zahlreiche Untersuchungen bewiesen.

Wenn das Gericht dann noch auf die martialischen Verkleidungen der Mitspieler abstellt, dann muss schon die Frage erlaubt sein, was das Sportdress mit der abgabenrechtlichen Beurteilung zu tun hat. Wären Paintballspieler in niedlichen Osterhasenkostümen dann auf einmal wieder gesellschaftlich akzeptiert?

All diese Wertungen im Urteil haben mit der Feststellung der Rechtslage wenig zu tun. Sie drücken nur eine offensichtliche Missbilligung von Menschen aus, die gerne „in der Gegend herumballern“. Wer die Boccia-Kugel wirft oder den Eisstock schießt, ist ein Sportler. Aber wer eine Farbkugel schießt und durch’s Gebüsch pirscht, ist keiner. Wo kämen wir denn sonst hin? Das ist die Grundaussage dieses Urteils.

Es stellt sich auch noch die Frage, was denn insofern die „Werteordnung unserer Gesellschaft“ sein soll und welche Rolle diese im Sport spielt. Entspricht es den allgemein akzeptierten Werten, sich gegenseitig ins Gesicht zu schlagen (Boxen)? Mit spitzen Pfeilen auf eine Dartscheibe zu werfen? Und erinnern Biathleten, mit einem Gewehr auf dem Rücken und Skiern unter den Füßen, nicht fatal an Gebirgsjäger?

Wer im Sport Werte sucht, wird ganz selten fündig. Welche Werte verkörpert das Trampolinspringen? Welche Handball? Reiten? Stabhochsprung?

Sport ist ein Wert an sich. Davon geht auch die Abgabenordnung aus, sonst würde sie die Förderung des Sports nicht ohne näheren Kommentar zum gemeinnützigen Zweck erklären. Aber der Inhalt des Sports kann doch nicht Anknüpfungspunkt für dessen Wert oder dessen steuerrechtliche Bewertung sein. Die Abläufe des Sports sollte man grundsätzlich als neutral einstufen. In welcher Art und Weise man sich gerne sportlich betätigt, sollte jedem selbst überlassen sein. Wollen wir wirklich, dass sich Finanzbeamte und -gerichte damit beschäftigen müssen, welcher Sport nun „gut“ und welcher „schlecht“ ist? Eine objektive Einstufung ist hier doch völlig unmöglich. Alles, was man hier subsumieren kann, sind die eigenen Vorlieben, Abneigungen und Vorurteile, alle wesentlich beeinflusst durch die eigene Prägung und Sozialisation. Als der Fußball Ende des 19. Jahrhunderts nach Deutschland kam, war das Urteil über diesen Sport zunächst jedenfalls auch kein positives.

Wir haben uns in unserer Abgabenordnung dafür entschieden, zahlreiche Vereinszwecke zu privilegieren. Über viele dieser Zwecke kann man freilich streiten. Und ob einem Paintball gefällt oder nicht, ist eine Geschmacksfrage. Aber ein Gericht sollte in einem freiheitlichen Staat nicht mit dem erhobenen Zeigefinger die Freizeitbeschäftigung zehntausender Menschen als nicht mit der Gesellschaft konform abqualifizieren.

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