Die Berufungsverhandlung ist prinzipiell eine zweite Hauptverhandlung. Eine vollwertige zweite Chance auf einen Freispruch für den zuvor verurteilten Angeklagten stellt sie aber nicht dar. Dass das Berufungsgericht von der Bewertung des Ausgangsgerichts abweicht, kommt insgesamt relativ selten vor. Schließlich sind es im Wesentlichen die gleichen Beweise und Argumente, die vorgebracht werden.
Auch die Tatsache, dass man nun vor der Kleinen Strafkammer sitzt, ändert wenig. Zwar ist diese auch bei kleineren Delikten, die in der ersten Instanz vom Einzelrichter entschieden wurden, mit einem Berufsrichter und zwei Laienrichtern (Schöffen) besetzt. Tatsächlich gibt aber auch hier der vorsitzende Berufsrichter aufgrund seiner Erfahrung und seiner Ausbildung den Ton an. Die Schöffen haben aber in der Praxis – trotz gleichen Stimmgewichts – relativ wenig Einfluss auf das Urteil.
Positiv kann sich die zweite Verhandlung aber dann auswirken, wenn der Angeklagte eine positive Sozialprognose ermöglichen will. Diese kann dazu führen, dass eine Bewährungsstrafe statt einer Vollzugsfreiheitsstrafe verhängt wird. Auch kann wegen dieser Sozialprognose statt einer Haftstrafe doch noch eine Geldstrafe in Frage kommen.
Die Zeit zwischen erstinstanzlichem Urteil und Berufungsverhandlung eröffnet also die Chance, noch einmal seine Lebensverhältnisse zu ordnen und sich in besserem Licht zu präsentieren. Man kann sich eine Arbeit suchen, man kann seine Wohnverhältnisse klären (z.B. wenn Mietschulden bestehen oder man nur geduldeter Untermieter ist), man kann sich um Schadenswiedergutmachung bemühen, man kann eine Therapie beginnen, man kann verschiedene Stellen für weitere Hilfe aufsuchen usw. Und vor allem sollte man tunlichst vermeiden, sich in der Zwischenzeit erneut strafbar zu machen.
Wenn man diese Zeit praktisch bereits als „Bewährungszeit“ versteht, kann man hier sicher noch einige Punkte sammeln.
Für die Frage von Schuld oder Unschuld wird das aber in den seltensten Fällen eine große Bedeutung erlangen. Was man aber keinesfalls versuchen sollte, ist, deswegen die Beweislage für die zweite Verhandlung irgendwie selbsttätig zu „verbessern“. Durch die versuchte Beeinflussung von Zeugen oder gar durch die Fälschung von Beweisen kann man seine gerichtlichen Aussichten nicht nur verschlechtern, sondern riskiert sogar Untersuchungshaft.