Vielleicht kennen Sie das auch: Sie schreiben einen Beitrag oder einen Kommentar auf Facebook, in Online-Foren oder in Blogs und irgendwann verschwindet dieser, aus welchem Grunde auch immer. Häufig folgen dann Beschwerden über Zensur und angeblich fehlende Meinungsfreiheit. Heute möchten wir darlegen, warum es eine Berufung auf die Meinungsfreiheit hier falsch ist und warum Plattformbetreibern zu raten ist, sehr genau auf die Inhalte ihrer Angebote zu achten.
Der erste Grund dafür ist nicht juristischer, sondern rein praktischer Natur – und liegt natürlich in der Verantwortung des einzelnen Betreibers: Es macht keinen so besonders guten Eindruck, wenn man beim Betreten einer Facebook-Gruppe gleich mit Beiträgen über die Mondlandungsverschwörung, das Übel des Zinseszinses und die Weltherrschaftspläne der Bilderberger konfrontiert wird. Natürlich stammen diese in der Regel nur von einzelnen Mitgliedern und geben nicht die Meinung der Administratoren wieder – aber für das Klima in der Gruppe und die Art der dortigen Schreiber ist das schon bezeichnend. Und viele Leser werden dies auch nicht derart differenzieren und dem Betreiber alles zurechnen, was sie vorfinden.
Objektiver ist der zweite Grund. Man ist für alles verantwortlich, was irgendjemand in dieser Gruppe schreibt. Zwar gibt es Haftungsbeschränkungen im Telemediengesetz (TMG):
§ 7 Abs. 2 Satz 1TMG:
Diensteanbieter (…) sind nicht verpflichtet, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen.
§ 10 Satz 1 TMG:
Diensteanbieter sind für fremde Informationen, die sie für einen Nutzer speichern, nicht verantwortlich, sofern
1. sie keine Kenntnis von der rechtswidrigen Handlung oder der Information haben und ihnen im Falle von Schadensersatzansprüchen auch keine Tatsachen oder Umstände bekannt sind, aus denen die rechtswidrige Handlung oder die Information offensichtlich wird, oder
2. sie unverzüglich tätig geworden sind, um die Information zu entfernen oder den Zugang zu ihr zu sperren, sobald sie diese Kenntnis erlangt haben.
Aber diese Vorschriften kann man – pardon – in der Pfeife rauchen. In der Realität sind sie praktisch nichts wert, weil Aufsichtspflichten regelmäßig durch die Hintertür oder über Beweislastregelungen konstruiert werden. Und auf Unterlassungsansprüche und vorhergehende kostenpflichtige Abmahnungen sind sie ohnehin nach gefestigter Rechtsprechung nicht anwendbar.
Abmahngefahr bleibt hoch
Es mag sein, dass in vielen Fällen Schadenersatzansprüche ausscheiden. Diese sind aber ohnehin oftmals zweitrangig, da nicht allzu hoch. Und das Ziel, dem Betreiber zu schaden, kann man auch durch eine Abmahnung erreichen. Diese wird durch einen Rechtsanwalt verfasst und aufgrund einer illusorisch hohen Streitwerts kann dieser – gedeckt durch die Gerichte – eine gesalzene Rechnung beifügen, die der Empfänger dann zahlen muss. Dass der Anwalt dann den Auftraggeber an dieser Summe beteiligt, ist zwar illegal, soll aber durchaus vorkommen.
Die Gefahr, in Anspruch genommen zu werden, ist sehr real. Gerade in der virtuellen Welt und in Zeiten umfassender Impressumspflichten ist es ein Leichtes, mit wenigen Klicks an den Verantwortlichen zu kommen.
Wer nicht mit seinem Geldbeutel für die Inhalte anderer, häufig nicht greifbarer Benutzer haften will, sollte grundsätzlich darauf schauen, dass er alle Inhalte, die er nicht verantworten kann, entfernt. Und er sollte auch aktiv auf die Suche nach derartigen Inhalten gehen, egal, was § 7 TMG dazu sagt.
Aber widerspricht es denn nicht der Meinungsfreiheit, wenn man einfach fremde Äußerungen löscht?
Zum einen ist es so, dass im deutschen Recht die Meinungsfreiheit ohnehin keinen hohen Stellenwert besitzt. Wir haben kein schrankenloses First Amendment wie in den USA. Staatliche Eingriffe in das Recht auf freie Rede kommen in vielerlei Form vor, sei es nun durch Strafnormen (z.B. §§ 80a, 86, 86a, 89, 90, 90a, 90b, 103, 130, 131, 166, 184, 184a, 184d, 185, 186, 188, 189, 219a StGB) oder durch gerichtliche Zuerkennung zivilrechtlicher Schadenersatz- oder Unterlassungsansprüche.
In der konkreten Situation zwischen Benutzer und Betreiber sind die Grundrechte und somit auch die Meinungsfreiheit ohnehin nicht anwendbar. Sicherlich nicht, wenn der Betreiber nur aufgrund seiner eigenen Vorstellungen, was er auf der Plattform sehen will und was nicht, etwas löscht. Aber auch dann nicht, wenn er lediglich ein allgemeines Gesetz, mit dem der Staat die Meinungsfreiheit einschränkt, in sein Angebot „weitergibt“ und einen von ihm für rechtswidrig erachteten Inhalt löscht. Grundrechte gelten nur in der konkreten Beziehung zwischen Staatsgewalt und Bürger, nicht aber zwischen Bürgern oder – wenn bspw. Facebook etwas löscht – zwischen Bürgern und Unternehmen.
Die Meinungsfreiheit ist also auf derartige Äußerungen schon gar nicht anwendbar. Es gibt einfach keinen Anspruch darauf, seine Ansichten im Rechtsbereich eines anderen verbreiten zu dürfen. Im Übrigen wird die Meinungsfreiheit – nach herrschender Meinung zulässigerweise – durch vielerlei Gesetze beschränkt. Dies ist möglich, wenn eine angemessene Beschränkung zugunsten eines Rechtsguts vorliegt. Wenn Sie die oben genannten Paragraphen aus dem StGB alle durchgehen, werden Sie auch ohne juristisches Studium feststellen, dass sie alle einen mühelos begründbaren Zweck verfolgen; und das reicht, um den Gesetzgeber zu rechtfertigen, mag man auch der noch müheloser begründbaren Meinung sein, dass es keine Rechtfertigung dafür gibt, Meinungen zu verbieten.
Darum sollte sich niemand, der irgendein Internetangebot unterhält, bei seiner Ehre packen und sich Zensur vorwerfen lassen. Wer zensiert, ist der Staat. Und als Akteur in einem überhaupt nicht rechtsfreien Raum bleibt einem keine andere Möglichkeit als sich den gesetzlichen Bestimmungen zu unterwerfen. Wenn ein Kommentator also auf seine Meinungsfreiheit pocht und mit Nachdruck feststellt, er lasse sich von niemandem den Mund verbieten, dann laden Sie ihn herzlich dazu ein, die Verfassungswidrigkeit der entsprechenden Normen feststellen zu lassen – aber auf sein Risiko und seine Kosten.