Notwehr (III) – Einzelfragen

Wie wird das Notwehrrecht begründet?

Das Recht auf Notwehr wird sowohl individualrechtlich als auch sozialrechtlich begründet: Der Angegriffene muss sich verteidigen dürfen, um seine Rechtsgüter zu erhalten. Andererseits soll auch die Rechtsordnung als solche vor Angriffen geschützt werden.

Was ist ein Angriff im Sinne des § 32?

Angriff ist jede von einem Menschen unmittelbare drohende Verletzung einer rechtlich geschützten Interesses. Ein Angriff kann auch fahrlässig oder schuldlos begangen werden.

Wann ist ein Angriff gegenwärtig?

Gegenwärtigkeit liegt vor, wenn ein Angriff unmittelbar bevorsteht, gerade stattfindet oder noch andauert. Der Angriff ist also von seinem Beginn bis zu seinem Ende gegenwärtig.

Nicht gegenwärtig sind also abgeschlossene und künftige Angriffe.

Was ist ein extensiver Notwehrexzess?

Beim extensiven Notwehrexzess werden die Grenzen der Notwehr in zeitlicher Hinsicht überschritten. Extensiv ist also ein Notwehrexzess gegen nicht gegenwärtige Angriffe.

Was ist ein intensiver Notwehrexzess?

Beim intensiven Notwehrexzess werden die Grenzen der Notwehr in sachlicher Hinsicht überschritten. Der Angegriffene wehrt sich also in einer Weise, die über das Gebotene hinausgeht.

Wann ist der Angriff rechtswidrig?

Rechtswidrig ist der Angriff, wenn er im Widerspruch zur Rechtsordnung steht. Nicht rechtswidrig ist ein Angriff also insbesondere, wenn er seinerseits gerechtfertigt ist.

Wann ist eine Notwehrhandlung geeignet?

Geeignet ist eine Notwehrhandlung nur, wenn sie gegen Rechtsgüter des Angreifers gerichtet ist und dadurch eine Abwendung des Angriffs zu erwarten ist.

Wann ist eine Notwehrhandlung erforderlich?

Erforderlichkeit ist gegeben, wenn die Verteidigungshandlung bei größtmöglicher Schonung der Interessen des Angreifers die sofortige und endgültige Beendigung des Angriffs erwarten lässt.

Es werden also zunächst alle Verteidigungsmöglichkeiten betrachtet, die die den Angriff ausreichend abwehren. Unter diesen Handlungsoptionen ist dann aber nur die zulässig, die den Angreifer am wenigsten schädigt.

Zurückweichen oder die Wahl unsicherer Verteidigungsmittel ist aber nicht notwendig.

Wie werden nicht erforderliche Erfolge der Verteidigungshandlung behandelt?

Der Erfolg ist grundsätzlich irrelevant, es kommt nur auf die Rechtmäßigkeit der Handlung an. Führt beispielsweise ein notwendiger Faustschlag zu einem an sich nicht notwendigen Schädelbasisbruch, so ist die trotzdem von der erforderlichen Verteidigungshandlung gedeckt.

Wann ist der Einsatz einer Schusswaffe erforderlich?

Grundsätzlich muss der Schusswaffeneinsatz zunächst angedroht werden, unter Umständen auch durch einen Warnschuss. Dies gilt freilich nicht, wenn auch das Gegenüber eine tödliche Waffe verwendet und diese sofort einsetzen könnte.

Wann ist die Verteidigungshandlung geboten?

„Geboten“ ist an sich nur das Gegenteil von „verboten“. Das Vorliegen der Notwehrlage erlaubt die Notwehrhandlung.

Allerdings werden in das Merkmal der Gebotenheit verschiedene Wertungen hineingelesen. Insbesondere wird eine sozialethische Einschränkung des Notwehrrechts diskutiert. Diese ist aber nur dann heranzuziehen, wenn die Handlung so rechtsmissbräuchlich ist, dass die mit dem Rechtsbewährungsprinzip nicht mehr vereinbar ist. Es wird dann also neues Unrecht gesetzt.

Wann fehlt es an der individualrechtlichen Begründung des Notwehrrechts?

Hieran fehlt es, wenn der Angegriffene das Notwehrrecht gar nicht benötigt, um seine Rechte wahrzunehmen. Dies ist der Fall, wenn die Rechtsgüter von Angreifer und Verteidiger in keinem Verhältnis zueinander stehen.

Beispiel: Kirschbaumfall

Wann fehlt es an der sozialrechtlichen Begründung des Notwehrrechts?

Sozialrechtlich bedarf es einer Notwehr nicht, wenn sich das Recht nicht bewähren muss. Dies ist der Fall,

      wenn nur ein Bagatellangriff vorliegt,
      Personen schuldlos handeln,
      Angreifer und Verteidiger eng miteinander verbunden sind oder
      die Notwehrlage provoziert wurde.

In diesen Konstellationen ist das Notwehrrecht deutlich eingeschränkt.

Wie kann ein eingeschränktes Notwehrrecht ausgeübt werden?

Ist das Notwehrrecht eingeschränkt, so bedeutet dies, dass die Schonung des Angreifers noch höheren Stellenwert erhält:

  • Zunächst muss der Angegriffene ausweichen, also auf die Notwehr ganz verzichten.
  • Ist ein Ausweichen nicht möglich, kann der Angegriffene reine Verteidigung üben, sog. Schutzwehr. Dabei muss er kleinere eigene Verletzungen grundsätzlich hinnehmen.
  • Nur wenn auch die Verteidigung keine sichere Angriffsabwehr verspricht, dürfen als ultima ratio schwerere Notwehrhandlungen ausgeführt werden.

Was bedeutet Notwehrprovokation?

Notwehrprovokation ist außer der Absichtsprovokation auch jede andere schuldhafte Herbeiführung der Notwehrlage.

Was bedeutet Absichtsprovokation?

Bei der Absichtsprovokation provoziert der Angegriffene absichtlich eine Notwehrlage, um in deren Rahmen ungestraft handeln zu können.

Darf der Angegriffene bei einer Notwehrprovokation noch Notwehr üben?

Ja, sein Notwehrrecht ist lediglich eingeschränkt. Allerdings kann er sich unter Umständen wegen Fahrlässigkeit strafbar machen, wenn er diese Folge vorhersehen konnte.

Darf der Angegriffene bei der Absichtsprovokation noch Notwehr üben?

Nein, da ihm dann der Verteidigungswille fehlt. Er hat vielmehr einen Angriffswillen, den er durch Herbeiführung der Notwehrlage „tarnt“.

Was ist Abwehrprovokation?

Bei der Abwehrprovokation wird die Notwehrhandlung an sich nicht provoziert. Der Angegriffene richtet sich nur vorher für den Fall eines Angriffs mit einem Abwehrmittel.

Darf der Angegriffene bei der Abwehrprovokation noch Notwehr üben?

Ja, uneingeschränkt. Sich für den Fall eines Angriffs zu wappnen, ist sozialethisch nicht zu beanstanden. Der präsumptive Angegriffene darf seine Abwehrposition vorher auch optimieren.

Beeinflusst Art. 2 EMRK das Notwehrrecht?

Nein, Art. 2 EMRK hat keinen anderen Inhalt als die sozialethische Einschränkung des Notwehrrechts, die bereits in § 32 StGB hineingelesen wird. Dem Lebensschutz wird dadurch bereits ausreichend Rechnung getragen.

Zudem bindet eine internationale Konvention, die Grundrechte verbürgen will, nur den Staat, nicht den Bürger.

Wann fehlt der Verteidigungswille?

Der Verteidigungswille fehlt, wenn zwar objektiv eine Notwehrlage vorlag, der Angegriffene dies aber nicht wusste. Seine Handlung stellte also aus seiner Sicht einen Angriff dar, tatsächlich war es aber eine Verteidigung.

Welche Folge hat das Fehlen des Verteidigungswillens?

Der BGH sieht auch darin eine vollendete Tat. Schließlich wurde der Tatbestand vollständig erfüllt, der Erfolg ist eingetreten. Eine Rechtfertigung entfällt, da der Verteidigungswille nicht vorlag und damit keine Notwehrhandlung gegeben ist.

In der Literatur wird teilweise vertreten, hier liege nur ein Versuch vor, da der Täter den Erfolg lediglich herbeiführen wollte, dieser Erfolg aber eigentlich nicht rechtswidrig war.

Kann sich ein staatlicher Amtsträger auf Rechtfertigungsgründe aus dem StGB berufen?

Ja, auch ein Amtsträger ist noch immer ein „Bürger in Uniform“ und kann die bürgerlichen Abwehrrechte geltend machen. Er soll nicht schlechter gestellt werden als ein anderer Angegriffener.

Dies ergibt sich auch aus verschiedenen Polizeigesetzen, Art. 60 Abs. 2 BayPAG sagt bspw., dass die „zivil- und strafrechtlichen Wirkungen nach den Vorschriften über Notwehr und Notstand“ unberührt bleiben.

Was ist antizipierte Notwehr?

Antizipierte Notwehrhandlungen werden vor Entstehen der Gefahr eingerichtet, wirken aber erst ab dem Beginn des Angriffs. Damit werden sie erst zum Zeitpunkt der Notwehrlage wirksam, ein gegenwärtiger Angriff liegt also vor.

Allerdings muss auch eine solche Handlung erforderlich sein. Hieran fehlt es häufig, da eine passgenaue Abstimmung auf den Angriff nicht möglich ist.

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