Tücken des Wahlrechts: Landtagspräsidentin Barbara Stamm nicht mehr im Landtag

Eines der überraschenden Ergebnisse der bayerischen Landtagswahl ist, dass die bisherige Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) ihr Mandat verloren hat. Das lag aber nicht etwa daran, dass sie selbst nicht prominent oder beliebt genug gewesen wäre oder die Wähler sie mit ihrer Tochter Claudia Stamm (früher grün, jetzt noch grüner, nämlich bei der „Mut“-Partei) verwechselt hätten. Vielmehr ist das eine Ausprägung des bayerischen Wahlrechts.

Frau Stamm hat ein exzellentes Ergebnis erzielt. Im Wahlkreis (Bezirk) Unterfranken hat sie allein 194.556 Zweitstimmen erhalten. Das sind 27,0 % der ingesamt 720.058 Zweitstimmen, die für alle Kandidaten aller Partei in ganz Unterfranken abgegeben wurden. Wäre Barbara Stamm eine eigene Partei, hätte sie allein mit diesen 27,0 % Zweitstimmen drei Mandate errungen. Für einen Landtagssitz als CSU-Kandidatin hat es aber nicht gereicht.

Nur als Listenkandidatin nominiert

Das Problem war, dass Frau Stamm nur Listen- und keine Direktkandidatin war. Nach dem bayerischen Landtagswahlrecht werden die 19 unterfränkischen Mandate zunächst nach dem prozentualen Anteil der Gesamtstimmen (Summe aus Erst- und Zweitstimmen) auf die Parteien verteilt. Die 41,4 % der CSU reichen für neun Mandate (erinnern wir uns: drei davon hat allein Frau Stamm durch ihre Zweitstimmen geholt).

Diese Mandate werden nun aber nicht sofort nach der Stimmenzahl auf die Bewerber verteilt. Zunächst kommen nämlich die gewählten Direktkandidaten der Partei an die Reihe. Und die unterfränkische CSU hat genau neun Stimmkreise gewohnen. Damit entfallen alle CSU-Mandate auf die Direktkandidaten und keines auf die Liste. Darum brachte es ihr auch nichts, dass sie mit weitem Abstand die meisten Stimmen auf der CSU-Liste erhalten hat, während schon der Zweitplatzierte (Justizminister Winfried Bausback) nur gerade einmal gut 50.000 Stimmen erreicht hat.

Wirklich überraschend war das aber nicht, wenn man sich die Ausgangssituation angeschaut hat. Es war von vornherein klar, dass es mathematisch für Frau Stamm gar nicht mehr funktionieren kann. Dafür hätte die CSU mehr Mandate erreichen müssen als sie siegreiche Direktkandidaten hat. In diesem Fall wären die überschüssige Abgeordnetenplätze von der Liste besetzt worden und da wäre Frau Stamm natürlich ganz oben gewesen.

Zu viele Direktmandate, zu wenige Listenmandate

Zunächst wäre es für Frau Stamm also „gut“ gewesen, wenn die CSU möglichst viele Stimmkreise nicht hätte gewinnen können. Dann hätten ihr entsprechend weniger Direktkandidaten die Sitze „wegnehmen“ können. Der einzige wackelige Stimmkreis in Unterfranken war aber Würzburg-Stadt, den dann auch tatsächlich die Grünen gewonnen haben. Die neun restlichen Stimmkreise waren definitiv schwarz. Hier konnte man nach allen Erfahrungen davon ausgehen, dass die Grünen jedenfalls unter 20 % und die CSU jedenfalls über 30 % landen würde. So führte einfach kein Weg zu einer echten Konkurrenzsituation. Im schließlich knappsten anderen Stimmkreis Unterfrankens (Aschaffenburg-West) betrug der CSU-Vorsprung dann auch ganze 19 %.

Die andere Option wäre gewesen, dass die CSU Unterfranken einfach besser abschneidet und damit mehr Sitze bekommt. Allein aufgrund der Stimmkreisgewinne waren der CSU bereits 9 von 19 und somit 47,4 % der Mandate sicher. Für ein zehntes Mandat, das dann an Frau Stamm gefallen wäre, hätte es also deutlich mehr als 47,4 %, wohl sogar der absoluten Mehrheit bedurft. Das sind nicht zwingend mehr als 50 % der gültigen Stimmen, aber zumindest mehr Stimmen als die anderen in den Landtag einziehenden Parteien zusammen. Tatsächlich hat die CSU 41 % erreicht, die anderen relevanten Parteien zusammen 51 %. Sogar, wenn einer der Wackelkandidaten FDP und SPD an der Fünfprozenthürde gescheitert wäre, hätte es wahrscheinlich nicht gereicht.

Listenkandidaten rücken in den Hintergrund

Bei diesen Landtagswahlen bedeutete es schließlich, dass die CSU keinen einzigen Listenkandidaten ins Parlament gebracht hat. Überall hat sie mindestens so viele Stimmkreise gewonnen wie sie Listenkandidaten erhalten hätte. In den anderen Bezirken hat sie sogar so viele Stimmkreise gewonnen, dass den anderen Parteien Ausgleichsmandate zugeteilt wurden, um den Proporz herzustellen.

Dieses Phänomen ist übrigens nichts typisch Bayerisches. Mit der bekannten Besonderheit, dass die Erststimmen auch zur Verhältniswahl dazuzählen, hat es nichts zu tun. Es erscheint nur deswegen besonders ungerecht, weil man die Zweitstimme für eine bestimmte Person abgibt und man dann annehmen sollte, dass eine hier besonders erfolgreiche Person auch das Mandat erhält. Aber die Gefahr, dass die Direktkandidaten alle auf die Liste entfallenden Mandate „wegnehmen“, besteht bspw. auch bei der Bundestagswahl.

Das bedeutet, dass unter anderem Experten, die jedes Parlament braucht, über Stimmkreise abgesichert werden müssen. Das wiederum setzt einen gewissen regionalen Bezug voraus – die Wähler müssen wollen, dass gerade diese Person den Stimmkreis repräsentiert. Das wird man bei manchen Fachpolitikern nicht unbedingt voraussetzen können.

Lösungsansätze

Will man das ändern, könnte man den Anteil der Stimmkreise an der Sitzzahl verringern. Gäbe es in Bayern nur noch 60 statt 91 Stimmkreise, würden diese nur noch ein Drittel der Abgeordneten ausmachen. Die CSU hätte nur noch ca. sechs Stimmkreise in Unterfranken gewonnen, aber trotzdem weiterhin neun Sitze nach der Verhältniswahl erhalten. Die Wahrscheinlichkeit, dass Mandate auf die Liste entfallen, wäre deutlich höher.

Die andere Alternative wäre ein „Grabenwahlrecht“, in dem keine Verrechnung von Mehrheits- und Verhältniswahl stattfindet. Die Listenkandidaten hätten somit die Garantie, dass sie bei der Mandatsverteilung nicht erst an zweiter Stelle kommen. Da dieses Wahlrecht die größeren Parteien deutlich bevorzugt, gäbe es auch keinerlei Grund mehr für die Fünfprozenthürde, dieses Wahlrecht wäre also auch demokratischer.

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