Fliegt die FDP doch noch aus dem bayerischen Landtag?

Die FDP, teilweise auch scherzhaft als „Die Liberalen“ bezeichnet, ist nach der Landtagswahl in Bayern wieder im Parlament vertreten. Nun machen Gerüchte die Runde, wonach dieser Wiedereinzug in den Bayerischen Landtag gefährdet sein könnte.

Stimmt es also, dass die FDP vielleicht doch noch an der Fünfprozenthürde scheitern könnte? Um die Freien Demokraten, deren Umgang mit der Frage derzeit zwischen Dünnhäutigkeit und Zweckoptimismus pendelt, zu beruhigen: Nein, höchstwahrscheinlich nicht.

Wer ist Direktkandidat?

Es geht laut Presseberichten darum, dass im niederbayerischen Stimmkreis Nr. 206 (Passau-West) zunächst der Kreisrat Hansi Brandl als FDP-Direktkandidat nominiert wurde. Später annullierte der FDP-Kreisvorstand diese Wahl und führte eine neue Aufstellungsversammlung durch. Nun wurde die örtliche FDP-Vorsitzende Bettina Illein als Kandidatin gewählt.

Das gefiel Herrn Brandl nicht und er setzte sich dagegen vor verschiedenen Partei- und staatlichen Gerichten zur Wehr, bislang jedenfalls ohne Erfolg. Darum blieb der Name von Frau Illein im Wahlvorschlag der FDP und landete somit auch auf den Stimmzetteln.

Sollte dies falsch gewesen sein, könnten die Stimmen für Frau Illein ungültig sein. Dabei handelt es sich zunächst einmal um Erststimmen, die den Stimmkreisabgeordneten bestimmen. In Bayern zählen die Erststimmen – im Gegensatz zur Bundestagswahl – aber auch für die gesamte Sitzverteilung. Die FDP-Liste würde also die 2556 Stimmen, die Frau Illein bekommen hat, verlieren. Das würde landesweit keinen großen Unterschied machen, insbesondere die FDP nicht unter die Fünfprozenthürde drücken.

Stimmkreiskandidat auch auf Liste

Nun gibt es aber ein weiteres Problem: In Bayern sind die Stimmkreiskandidaten gemäß Art. 27 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 des Landeswahlgesetzes immer auch auf die Bezirksliste der Partei (missverständlich als Wahlkreisliste bezeichnet) aufzunehmen. Diese besteht dann im Fall Niederbayerns aus den neun Stimmkreiskandidaten und aus bis zu neun weiteren Kandidaten, die nirgends Direktkandidat sind, sondern nur die Liste auf 18 Kandidaten auffüllen sollen.

Wenn also Herr Brandl der richtige FDP-Bewerber im Stimmkreis Passau-West war, dann hätte er zwingend auch auf der Bezirksliste Niederbayern stehen müssen. Das war aber nicht der Fall. Dort stand zwar Frau Illein, da sie als (vermeintliche) Stimmkreisbewerberin dort (vermeintlich) ordnungsgemäß aufgenommen wurde. Herr Brandl war als (vermeintlicher) Unterlegener im Stimmkreis aber nicht automatisch auf der Liste. Und er wurde auch nicht als weiterer Auffüllkandidat auf die Liste aufgenommen – was die Partei im Zweifelsfall hätte tun können, um auf Nummer sicher zu gehen.

Damit wäre die FDP-Wahlkreisliste für Niederbayern rechtswidrig. Die zwischenzeitlich von einigen Personen aus der FDP geäußerte Ansicht, der Fehler beträfe ohnehin höchstens den Stimmkreis Passau-West und keinesfalls die gesamte Bezirksliste, ist daher unhaltbar. Aufgrund der engen Verzahnung zwischen Direktkandidaten und Liste dringen Kandidatenfehler immer auch auf die Liste durch.

Vorläufige Entscheidung durch Wahlausschuss

Der Wahlkreisleiter, bei dem die Parteien die Unterlagen einreichen, hätte die Liste dann also zunächst beanstanden müssen (Art. 33 Landeswahlgesetz). Wäre keine Korrektur erfolgt, hätte des Landeswahlausschuss die Liste zurückweisen müssen (Art. 34 LWG). Dies ist hier aber nicht erfolgt, weil der Wahlausschuss entweder von den Unstimmigkeiten nichts wusste oder (wovon auszugehen ist) den Fall geprüft und der FDP Recht gegeben hat.

Gegen die Entscheidung des Wahlausschusses kann Beschwerde eingelegt werden (Art. 34 Abs. 2 LWG), dann entscheidet innerhalb von drei Tagen der Beschwerdeausschuss, bestehend aus dem Landeswahlausschuss und zwei Richtern (Art. 7 Abs. 2 Art. 2 LWG). Diese Entscheidung ist für die Wahl bindend.

Die Zulassungsentscheidung des Beschwerdeausschusses ist aber nicht endgültig. Sie soll nur dafür sorgen, dass für die Wahl klare Verhältnisse herrschen. Würde man über einzelne Kandidaturfragen jedesmal den kompletten Verwaltungsrechtsweg eröffnen, wären die Landtagswahlen praktisch undurchführbar.

Endgültige Wahlprüfung

Darum gibt es nach der Wahl das Wahlprüfungsverfahren durch den Landtag (Art. 51 LWG) und der weiteren Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof (Art. 33 der Bayerischen Verfassung). In diesem Verfahren kann es sein, dass die Wahl für ungültig erklärt und eine Wiederholungswahl durchgeführt wird (Art. 55 LWG).

Vorrang genießt aber nach ganz herrschender Meinung die Berichtigung des Wahlergebnisses (Kommentar von Boettcher/Högner/Spilarewicz, Art. 51 LWG, Rdnr. 6). Bevor man eine ganze Wahl annulliert, soll erst einmal versucht werden, das Ergebnis zu korrigieren, indem man ungültige Stimmen streicht. In diesem Fall würde das also bedeuten, dass man alle Stimmen, die für die niederbayerische FDP abgegeben wurden, streicht. Denn diese Wahlkreisliste war ja unrichtig, weil sie nicht alle Stimmkreiskandidaten enthielt. Außerdem wären auch alle anderen Stimmkreiskandidaten der FDP nicht existent, da es Stimmkreisvorschläge ohne zugehörigen Wahlkreisvorschlag im bayerischen Wahlrecht nicht gibt (Art. 26 Abs. 1 Satz 1 LWG). Damit wäre es also in ganz Niederbayern nicht mehr möglich gewesen, irgendeine Erst- oder Zweitstimme für die FDP abzugeben. Die abgegebenen Stimmen sind damit als ungültig anzusehen.

Stimmenstreichung oder Wahlwiederholung?

Nun stellt sich aber die Frage, ob das wirklich die Lösung des Dilemmas sein kann. Denn die Partei konnte sich natürlich schon auf die Entscheidung von Wahlleiter und Wahlausschuss verlassen. Dass nun auf einmal nach der Wahl gesagt wird „Überraschung, ihr habt einen Fehler gemacht, das war’s dann wohl!“, erscheint schwer nachvollziehbar. Andererseits ist die Partei aber selbst für die Einhaltung aller Formalien verantwortlich und kann sich nicht mit einer Mitschuld staatlicher Organe entschuldigen. Ein Fehler, der dem Wahlleiter bei der Vorprüfung nicht aufgefallen ist, kann also zur Nichtzulassung durch den Wahlausschuss führen (Boettcher, Art. 34 LWG, Rdnr. 2). Dies müsste man durch nachträgliche Streichung dieser Stimmen ausgleichen.

Trotzdem würde man wohl eher zu einer Annullierung der Wahl in Niederbayern und einer Wiederholungswahl kommen. 60.000 Stimmen für die FDP einfach zu streichen, der Partei somit ihre Mandate zu nehmen und damit den Bürgern ihre Wahlstimmen zu entziehen, wäre wohl kaum angemessen. Die Partei hat sich ja auch keine Vorteile erschlichen, sondern es kam ganz einfach zu Unstimmigkeiten, die bei der Kandidatennominierung nun einmal vorkommen.

Absolut sicher ist das aber nicht. Im Endeffekt würde der Verfassungsgerichtshof entscheiden müssen. Rechtsprechung hierzu gibt es bislang keine – das Problem hat sich in dieser Form noch nie gestellt.

Doppelaufstellung wohl zulässig

Aber könnte hier überhaupt ein Fehler vorliegen? Kommen wir nach all diesen rechtlichen und theoretischen Betrachtungen zu den nüchternen Fakten zurück: Die FDP hat zweimal abstimmen lassen und den als zweiten gewählten Kandidaten aufgestellt.

Die Frage ist also, ob eine Partei die Aufstellungsversammlung nochmal durchführen darf. Zum einen führt die FDP hierfür formale Gründe an, die erste Versammlung sei nicht korrekt abgelaufen, daher habe man sie wiederholen müssen. Diese Gründe braucht es aber gar nicht.

Wir erinnern uns: Da die Stimmkreiskandidaten alle auf der Bezirksliste stehen müssen, werden diese zuerst gewählt und erst nach Aufstellung des letzten Kandidaten die Liste gewählt. Ein Austausch von Kandidaten, die schon auf der Liste stehen, soll daher nur ausnahmsweise vorkommen. Darum sagt Art. 29 Abs. 4 Satz 1 LWG auch:

Nach Aufstellung der Wahlkreisliste ist die Wahl eines Stimmkreisbewerbers nur noch zulässig, wenn der bisher gewählte Stimmkreisbewerber gestorben ist, die Wählbarkeit verloren hat oder aus sonstigen wichtigen Gründen ersetzt werden soll.

Daraus ergibt sich aber der logische Schluss, dass vor Aufstellung der (Bezirks-) Wahlkreisliste die Auswechslung von Stimmkreisbewerbern ohne Weiteres möglich ist. Sonst bräuchte es diese Regelung für die Zeit nach Aufstellung der Liste nicht. Es wäre auch schwer nachvollziehbar, dass eine Partei an eine einmal getroffene Wahl unwiderruflich gebunden sein sollte. In der Politik überwirft man sich leicht einmal oder ein Kandidat wird aufgrund irgendwelcher Äußerungen oder Vorwürfe plötzlich als untragbar empfunden. Darum müssen Korrekturmöglichkeiten vorhanden sein. Relevant ist somit die Entscheidung, die am Ende der Einreichungsfrist Bestand hat. Spätere Probleme mögen dann peinlich oder ineffizient sein, aber irgendwann muss eben klar sein, wer nun aufgestellt ist und wer nicht.

Auch die Literatur (Boettcher, Art. 33 LWG, Rdnr. 4 und Art. 28, Rdnr. 11) geht davon aus, dass alle Verfahrensschritte der Aufstellungen innerhalb der dafür bestehenden Frist frei wiederholt werden können. Dies ist in praktisch allen Wahlgesetzen anerkannt, bspw. auch im Kommunalwahlrecht und bei der Bundestagswahl (Kommentar von Schreiber, § 21 Bundeswahlgesetz, Rdnr. 36).

Insofern spricht also wahlrechtlich nichts gegen eine Neu-Entscheidung hinsichtlich dieses Stimmkreiskandidaten. Damit stand die Richtige auf dem Wahlzettel, sowohl im Stimmkreis als auch auf der Liste. An der Gültigkeit des Wahlergebnisses ergeben sich keine durchgreifenden Zweifel, die FDP sollte also den Sprung in den Landtag geschafft haben.

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