Die deutsche Verfassung heißt bekanntlich (und auch aus den bekannten historischen und politischen Gründen, die mit rechtlichen Dingen wenig zu tun haben) Grundgesetz. Auch zahlreiche andere Verfassungen auf der Welt tragen den Namen Grundgesetz. Aber kann man das so verkürzt überhaupt sagen? Sind das Verfassungen mit dem Namen „Grundgesetz“ und sind eine Verfassung und ein Grundgesetz überhaupt dasselbe?
Wie so oft in der Juristerei muss man sagen: Das kommt auf die Sichtweise an.
„Verfassung“ ist grundsätzlich ein abstrakter Begriff. Dieser beschreibt, wie ein Staat „verfasst“ ist, also wie er sich aufbaut, welche politischen Organe es gibt, wie ihr Verhältnis zueinander ist und wer welche Rechte und Pflichten hat. Im Grunde beschreibt die Verfassung also die gesamte Verfassungsrechtsordnung.
Ein Grundgesetz hingegen ist ein grundlegendes Gesetz. Die allermeisten, wenn nicht gar alle Grundgesetze (mir ist jedenfalls keine Ausnahme bekannt) behandeln verfassungsrechtliche Materien. Ein anderer Name für „Grundgesetz“ wäre also „Verfassungsgesetz“. Daher werden viele Verfassungsgesetze auch verkürzt „Verfassung“ genannt.
Wie verhalten sich eine Verfassung und ein Grundgesetz nun zueinander?
Praktisch jede moderne Verfassung baut auf einem Grundgesetz auf. Daneben kann es aber auch noch andere Rechtsquellen der Verfassung geben. So besteht die österreichische Verfassung beispielsweise aus dem „Bundes-Verfassungsgesetz“ und verschiedenen anderen Gesetzen sowie einigen Staatsverträgen. Aber auch Gewohnheitsrecht und Gerichtsurteile können Quellen von Verfassungsrecht sein. Die Verfassung des Vereinigten Königreichs besteht beispielsweise nur aus Gewohnheitsrecht, neben denen es praktisch nur einfache Gesetze gibt, die verfassungsartige Regelungen enthalten. (Details werden hier erklärt.)
Man muss also unterscheiden:
Verfassung im weiteren Sinne = Verfassungsrechtsordnung = Verfassungsgesetz(e) und weitere Rechtsnormen
Verfassung im engeren Sinne = schriftliche Verfassung = Verfassungsgesetz = Grundgesetz
Ein Grundgesetz ist also zumindest ein Teil (in der Regel sogar der wichtigste, manchmal gar der einzige Teil) der Verfassung.
Sehr selten steht ein Verfassungsgesetz aber auch außerhalb der Verfassung. So wurde die Weimarer Reichsverfassung, das Grundgesetz des Deutschen Reichs ab 1919, auch nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten nicht formell aufgehoben. Sie spielte aber im Verfassungsleben keine Rolle mehr. Bestimmend waren hier einige wenige andere Rechtvorschriften, auf dem Notverordnungsweg oder aufgrund des Ermächtigungsgesetzes erlassene Gesetze oder gar einfache Führerbefehle. Auch die Rechtswissenschaft tat das ihrige dazu, jede Handlung der Regierung zu legalisieren und mit einem juristischen Konstrukt abzusichern. Das Verfassungsgesetz selbst war dabei nicht mehr interessant, sondern wurde auf diesem Weg aus der Verfassung verdrängt.
Wie sich das Grundgesetz und die Verfassung Deutschlands heute zueinander stellen, wollen wir in einem der nächsten Beiträge behandeln.
3 Gedanken zu „Verfassung und Grundgesetz“
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