Normalerweise lasse ich ja in den seltensten Fällen eine Gelegenheit aus, politische Fehltritte entsprechend zu kommentieren.
Aber manchmal muss ich Politiker auch in Schutz nehmen. Vor allem dann, wenn es um handfeste (verfassungs-) rechtliche Fragen geht.
Aktuell titelt der Spiegel, das Hamburger Politmagazin mit der Vorliebe für phantasievolle Reporter, auf seinem Facebook-Auftritt:
Große Koalition – Warum die CSU das Klimaschutzpaket verzögert
200 Seiten in drei Stunden durcharbeiten und prüfen? Das war der CSU offenbar ein bisschen zu viel.
Nun darf man Facebook-Kommentierungen natürlich allzu ernst nehmen. Wenn die Redaktion das aber mit dieser süffisanten Bemerkung garniert, dann sollte man es schon hinterfragen.
Bei diesem Klimapaket geht es um die Umsetzung eines Regierungsplans zur Umweltpolitik, der heute im Bundeskabinett hätte beschlossen werden sollen. Weil dieses 200 Seiten lange Paket aber erst um 6:30 Uhr und damit drei Stunden vor Sitzungsbeginn in den Ministerien eintraf, lehnten die CSU-Minister die Beschlussfassung darüber ab.
Eine Seite Fachtext pro Minute
Was bedeuten Rechtsvorschriften zum Klima? In erster Linie Einschränkungen, Steuern und Regularien. Und da ist es doch das Mindeste, dass diese hinterfragt und im Detail geprüft werden, bevor man sie durchwinkt. Dass 200 Seiten in drei Minuten gelesen werden soll, bedeutet – dafür muss man kein bayerisches Abitur haben – dass pro Seite eine knappe Minute bleibt. Für eine Seite in Fachsprache mit Zahlen, Daten, Prognose und Gesetzestexten.
Dass es schon Anlass für Häme sein soll, dass man dazu nicht bereit ist, ist erschreckend. Wenn wir diesen Maßstab anlegen, dann brauchen wir keine Regierung und kein Parlament mehr, dann werden zukünftig einfach alle Gesetze auf Verwaltungsebene ausformuliert.
Nun wurde auch schon geäußert, dass der Minister ja nicht alleine ist. Man kann ja die Lesearbeit auf mehrere Personen delegieren. Wer das meint, hat noch nie ein Gesetz, eine Bundestagsdrucksache oder ein ähnliches offizielles Dokument gelesen.
Immer mehr, immer schlechtere Gesetze
Es ist eben nicht damit getan, sich einen Abschnitt herauszunehmen, den zu lesen und dann seine Erkenntnisse vorzutragen. Die einzelnen Teile müssen natürlich im Zusammenhang gelesen werden. Viele spezifische Regelungen erschließen sich nicht, wenn man nicht weiß, worauf sie Bezug nehmen.
In den letzten Jahren ist die Frequenz, mit der neue Gesetze verabschiedet wurden, enorm gestiegen. Gleichzeitig ist, auch durch den Einfluss des EU-Rechts, die Qualität von Rechtsnormen und deren Verständlichkeit für den Rechtsanwender (vom juristischen Laien ganz zu schweigen) deutlich gesunken.
Inhaltlich werden die Freiheiten des Einzelnen immer mehr eingeschränkt und die Kompetenzen des Staates immer mehr ausgeweitet. Da ist es das Mindeste, dass die Verfassungsorgane, die das zu verantworten haben, wenigstens prüfen, was sie überhaupt beschließen.
Und wenn ein Beschluss deswegen – wie nun angedacht ist – erst eine Woche später gefasst werden kann, dann wird das Klima das schon überleben.