In der gegenwärtigen Debatte um Gewalttaten mit Messern als Tatwaffe hat sich nun auch die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) eingemischt. Dabei werden vom Nachrichtensender n-tv verschiedene Äußerungen wiedergegeben, die einfach grob falsch sind. Ob diese Fehler tatsächlich von der Gewerkschaft oder von der Redaktion stammen, lässt sich freilich schwer ergründen.
In jedem Fall sollten diese Forderungen und die dahinter stehenden Behauptungen einmal kritisch überprüft werden.
Angesichts wiederholter Messerattacken fordert die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG), gezielte Stiche gegen andere Menschen als versuchtes Tötungsdelikt einzustufen und nicht nur als gefährliche Körperverletzung.
Das ist einfach widersinnig. Ein versuchtes Tötungsdelikt liegt nach dem deutschen Strafrecht vor, wenn ein Tötungsdelikt versucht wird. Genau dann und nur dann. Notwendig dafür ist Tötungsvorsatz. Der Täter muss also entweder wollen, dass das Opfer an den Verletzungen stirbt, oder dies zumindest billigend in Kauf nehmen.
Das kann bei einem Messerangriff durchaus der Fall sein. Wer einem anderen in den Bauchraum sticht, muss damit rechnen, dass dort lebenswichtige Organe getroffen werden und dies zum Tod führt. Wer trotzdem sticht, dem ist das offensichtlich egal, er nimmt die Tötung also unter Umständen billigend in Kauf. Das ist also – je nach weiteren Umständen – versuchter Totschlag oder versuchter Mord.
Liegt dagegen kein Tötungsvorsatz beim Täter vor, dann begeht er auch keinen Tötungsversuch – das ist eine recht logische Abgrenzung.
Damit kann sofortige Untersuchungshaft angeordnet werden
Das ist so nicht richtig. Zwar klingt § 112 Abs. 3 StPO zunächst so als bräuchte es bei (versuchtem) Totschlag nur dringenden Tatverdacht, um den Täter vor dem Prozess in Untersuchungshaft zu bringen. Diese Vorschrift legt die Rechtsprechung aber anders aus: Auch in solchen Fällen muss ein Haftgrund (Fluchtgefahr oder Verdunklungsgefahr) gegeben sein, allerdings sind die Hürden für dessen Annahme wegen der Schwere der Tat geringer.
Auch bei einer gefährlichen Körperverletzung kann es zur U-Haft kommen, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen. Davon abgesehen ist es völlig unsystematisch, wenn man einen bestimmten Tatvorwurf (Körperverletzung) in etwas anderes (versuchten Totschlag) umdeutet, nur um bestimmte Rechtsfolgen (Untersuchungshaft) zu erreichen.
Wenn man Messerstecher unbedingt in U-Haft bringen will, dann kann man auch einfach § 112 Abs. 3 StPO entsprechend ändern.
Aus Sicht der DPolG sollten Attacken mit Messern und ähnlichen Gegenständen ein Verbrechenstatbestand mit mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe sein. Aktuell würden Messerstiche „immer noch als gefährliche Körperverletzung gewertet“.
Das ist prinzipiell richtig. Die gefährliche Körperverletzung stellt einen erschwerten Fall der Körperverletzung dar. § 224 Abs. 1 Nr. 2 sagt:
Wer die Körperverletzung mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren (…) bestraft.
Ein Messer ist, soweit es unter das Waffengesetz fällt, eine Waffe, ansonsten ein gefährliches Werkzeug. In beiden Fällen ist der Tatbestand erfüllt, eine gefährliche Körperverletzung liegt damit vor.
Insoweit wäre es also durchaus möglich, die Mindeststrafe für eine gefährliche Körperverletzung mittels Messers auf ein Jahr zu erhöhen. Dann würde sich aber die Frage stellen, warum das nur für Messer gelten soll und nicht auch für Hammer, Stahlruten, Brecheisen, Baseballschläger, Tränengas, Metallketten oder Gift.
Davon abgesehen widerspricht der Vorschlag aber den obigen Ausführungen – wenn Messerstiche ein Tötungsdelikt sein sollen, dann muss man auch keinen neuen Strafrahmen dafür einführen.
Dafür gebe es zwar eine Höchststrafe, aber eben keine Mindeststrafe.
Das ist falsch, ganz einfach und offensichtlich falsch. Die Mindeststrafe beträgt sechs Monate Haft. Dafür muss man einfach nur die Vorschrift des § 224 lesen.
Erst wenn jemand getötet wurde, werde die Tat als Totschlag oder Mord bewertet. „Und das ist falsch, denn es ist purer Zufall, ob nach einem Messerstich jemand tot ist oder nicht.“
Ja, natürlich liegt ein Tötungsdelikt nur vor, wenn jemand getötet wird. Wann auch sonst? Wurde niemand getötet, die Tötung aber billigend in Kauf genommen, dann handelt es sich – siehe oben – um ein versuchtes Tötungsdelikt. Das wiederum hängt in keiner Weise vom Zufall ab, sondern nur vom Täter selbst und dessen innerer Einstellung zur Tat und zur Tötungsgefahr.
Dass die Frage der Vollendung vom Zufall abhängt, das ist nunmal das Wesen eines jeden Strafrechts. Natürlich kann der Täter „Glück“ haben, dass nichts Schlimmeres passiert. Dann bleibt es aber immer noch beim Versuch. Das ist genau wie beim Dieb, der etwas stehlen will, aber vorher geschnappt wird.
Selbstverständlich darf und sollte man die Frage stellen, wie sich die Zahl der Gewalttaten mittels Messern entwickelt hat. Dazu gehört dann auch die – in der Öffentlichkeit immer wieder aufgeworfene, von der Politik aber weitgehend ignorierte – Frage, welche Tätergruppen hierfür verantwortlich sind und welche Schlüsse daraus zu ziehen sind.
Aber vorher sollte man schon eine unverfälschte Bestandsaufnahme über die bestehenden Gesetze machen und bei Gesetzesänderungen eine gewisse Systematik bewahren.
Und gerade, wenn man das Strafgesetzbuch effektiver für die Bekämpfung bestimmter Deliktsgruppen gestalten will, sollte man dafür sorgen, dass es nachvollziehbar und anwendbar bleibt.