BVerfG zum BayVersG

Das Bundesverfassungsgericht hat eine Verfassungsbeschwerde gegen das Bayerische Versammlungsgesetz als unzulässig zurückgewiesen. Der Kläger habe nicht ausreichend dargelegt, inwiefern er durch die Neufassung des Gesetzes belastet werde. Bedeutend interessanter war aber die Entscheidung aus dem Februar 2009:

Damals hatte es, was eher unüblich ist, in einer Eilentscheidung einige Vorschriften des bayerischen Versammlungsgesetzes aufgehoben. Bei näherem Hinsehen muss man aber sagen, dass von einem Sieg für die Kläger nicht die Rede sein kann. Die primärrechtlichen Regelungen sind im wesentlichen nicht beanstandet worden; die Richter haben gerade nicht geurteilt, dass es in Bayern nun zu wenig Versammlungsfreiheit gäbe. Gekippt wurden dagegen einige Bußgelddrohungen. Die Begründung dazu ist nicht uninteressant und könnte auch Bedeutung für zahlreiche andere Rechtsgebiete haben.

Die Richter haben kritisiert, dass Verstöße gegen bürokratische Regelungen des Gesetzes (z. B. Anmelde- und Überwachungspflichten) unmittelbar eine Ordnungswidrigkeit darstellen. Bisher – so habe ich das der Entscheidung entnommen, korrigiert mich, wenn das falsch ist – wurden dem Veranstalter in diesen Fällen Auflagen durch die Polizei gemacht, dass er konkret bestimmte Handlungen tun oder unterlassen muss und erst bei Verstoß dagegen mit einem Bußgeld vorgegangen werden kann. Es sei also nicht zumutbar, dass man als Verantwortlicher einer Demo von sich aus die ganze komplizierte Rechtsmaterie kennen muss und sich bei Unkenntnis sofort einem strafrechtlichen (wenn gleich nicht kriminellen) Schuldvorwurf aussetzt. Diese Ansicht ist ein Bruch mit der bisherigen Rechtsprechung. Bisher waren die Gerichte recht resolut: Gesetz ist Gesetz und daran hat man sich zu halten.

Auch, wenn die Materie sehr kompliziert ist und im Zweifelsfall erst von einem Verwaltungs- oder, wenn es schlimmer kommt, von einem Strafgericht nach mehrstündiger Beratung und ggf. in mehreren Instanzen geklärt werden muss. Einen sog. Verbotsirrtum haben die deutschen Obergerichte in enger Anlehnung an die frühere Rechtsprechung des Reichsgerichts nur in ganz wenigen Fällen anerkannt. Potentielles Unrechtsbewußtsein hieß es stattdessen – man hätte sich ja nur genügend intellektuell anstrengen müssen, dann wäre man auch als juristischer Laie genauso schlau gewesen wie der Gesetzeskommentar, der in der Unibibliothek ein ganzes Regal füllt… Und so verwundert es auch nicht, dass bspw. § 185 StGB wenig erhellend bestimmt: „Die Beleidigung (…) wird bestraft.“ Was eine Beleidigung nun ist, erfahren wir nicht. Die Vorschrift ist wohl gerade noch verfassungsgemäß, da sich jeder einigermaßen aus dem Alltagsgebrauch des Wortes zusamenreimen kann, was eine Beleidigung sein könnte. Problematisch ist dann aber, dass man eine Zeitlang dazu überging, viele Handlungen, für die es kein eigenes Strafgesetz gab, als Beleidigung aufzufassen – weil sich das Opfer ja beleidigt fühlen könnte. Darunter wurden dann bspw. leichte sexuelle Belästigungen oder auch heimliche Videoaufnahmen (die mittlerweile ihren eigenen StGB-Paragraphen haben) verstanden.

Wir werden sehen, ob sich das aktuelle Urteil positiv auf die Arbeit des Gesetzgebers auswirkt. Derzeit schwankt dieser leider zwischen Blankettatbeständen, deren Bedeutung sich jeder selbst erschließen muss und von denen es außer den dargestellten noch viele mehr gibt, und einer Regelungsfülle – bspw. beim neuen Waffengesetz -, die auch den juristisch gebildeten Leser derart erschlägt, dass es kaum noch möglich ist, im Nebel der zahlreichen Querverweise, Analogien und Anlagen die wirkliche Gesetzeslage zu erfassen. Verfassungsmäßig und rechtsstaatlich dubios ist beides. Noch zwei Klassiker zum Abschluss: muss man wirklich wissen, dass es eine Körperverletzung darstellt, wenn man jemand anderem die Haare schneidet? Und dass ein Auto eine Urkunde ist (!), die man in strafbarer Weise fälscht, wenn man ein anderes Nummernschild hinschraubt?

Das Versammlungsgesetz des Freistaats scheint jedoch mittlerweile so gestaltet zu sein, dass es zumindest höchstrichterlich nichts daran auszusetzen gibt.

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