Wenn’s den Falschen trifft

Irrtumsfälle sind das Salz in der Suppe einer guten Strafrechtsklausur. Wenn sich der Täter fälschlich Tatsachen vorstellt, die in Wirklichkeit nicht gegeben sind, hat dies Einfluss auf seinen Tatvorsatz und damit auch auf seine Strafbarkeit. In der Praxis kommen zwar zumindest die typischen Klausurkonstellationen äußerst selten vor, aber diese sind ideal geeignet, um das Verständnis der Studenten für die Grundlagen des Strafrechts zu prüfen.

Für die folgenden Beispiele nehmen wir jeweils an, dass der Täter T das Opfer O töten will. Ob es sich um Mord oder Totschlag handelt, ist für diese Frage nicht relevant, wir verwenden also den neutralen Begriff der vorsätzlichen Tötung und lassen offen, ob § 211 oder § 212 StGB erfüllt ist.

Beispiel 1: T legt sich spätabends vor dem Haus des O auf die Lauer. Als er eine Person zum Gartentor hereinkommen sieht, nimmt er an, dass dies O ist, und erschießt ihn. Tatsächlich handelte es sich aber um den Bruder B des O, der gerade bei diesem zu Besuch war.

Hier hat T zwar nicht die Person, die er eigentlich töten wollte, getroffen. Aber er hat den getroffen, den er anvisiert hat. Sein Anschlag ist also genau so abgelaufen, wie er ablaufen sollte. T hat die Person, die er im Dunklen ausgemacht hat, getötet. Er hat sich lediglich in der Identität dieser Person geirrt. Die Juristen nennen dies „error in persona„.

Nach ganz herrschender Meinung ändert dies nichts am Vorsatz des Täters, denn er hatte ja gerade den Vorsatz, die in dem Moment anvisierte Person zu töten. Würde man sein Motiv, eigentlich den O und nicht den B umzubringen, hier zu seiner Entlastung vorbringen, wäre dies nicht gerechtfertigt. Und es gäbe auch enorme Wertungswidersprüche beispielsweise zu einem Amoklauf: Hier macht sich der Täter regelmäßig gar keine Gedanken darüber, wen er eigentlich tötet. Die Identität spielt auch insofern keine Rolle, als es genauso strafbar ist, den O wie den B zu töten.

T ist also wegen vollendeter vorsätzlicher Tötung zu bestrafen.

Beispiel 2: T legt sich am hellichten Vormittag vor dem Haus des O auf die Lauer. Als zwei Personen zum Gartentor hereinkommen, sieht er, dass es sich um O und seinen Bruder B handelt. Er zielt auf O, aber aufgrund einer unachtsamen Handbewegung verfehlt die Kugel ihr Ziel und tötet B.

Im Gegensatz zum ersten Beispiel lief der Anschlag eben nicht so wie geplant. Er hat nicht das anvisierte Ziel getroffen, das sich aber als der falsche Mensch herausgestellt hat, sondern er hat in dem Sinne daneben geschossen und jemand anderes getroffen. Das wird als „Fehlgehen des Schlags“ (auch wenn der Schlag eine Kugel ist) bezeichnet oder lateinisch „aberratio ictus„.

Hier ist also etwas passiert, was der Täter im Moment der Tat nicht gewollt hat. Wir befinden uns also im Bereich der Fahrlässigkeit. Und es ist das, was der Täter eigentlich wollte, nicht passiert. Das bezeichnet man als Versuch.

Und genau so ist das Geschehen auch aufzuspalten: Die Kugel, die für O bestimmt war, hat ihn nicht getroffen. Es handelt sich also (nur) um den Versuch der vorsätzlichen Tötung. Und eine Kugel, die den B nicht hätte treffen sollen, hat ihn getötet. Damit ist auch der Tatbestand der fahrlässigen Tötung gegeben.

T ist also wegen versuchter vorsätzlicher Tötung an O und fahrlässiger Tötung an B zu bestrafen. Da beides durch dieselbe Handlung begangen wurde, wird nur eine Strafe verhängt, nämlich wegen der schwereren Tat, hier der versuchten vorsätzlichen Tötung.

Beispiel 3: T legt sich spätabends vor dem Haus des O auf die Lauer. Als zwei Personen zum Gartentor hereinkommen, geht er davon, dass es sich um O und seinen Bruder B handelt. In der Dunkelheit sehen beide Personen fast gleich aus, er glaubt aber, den O an seiner Jacke zu erkennen. Er zielt auf die Person, die er für O hält, aber aufgrund einer unachtsamen Handbewegung verfehlt die Kugel ihr Ziel und tötet die andere Person, die er für B hielt. Tatsächlich hatte T aber die beiden Personen verwechselt und der Fehlschuss hat den O getötet.

Jetzt wird es auf den ersten Blick etwas kompliziert. Dieses Beispiel kombiniert die beiden ersten Beispiele. Darum ist besonders wichtig, streng nach dem Schema vorzugehen.

Die erste Frage ist, ob die Tat so abgelaufen ist, wie der Täter es im Moment der Tat vorhatte. Die Antwort ist nein, denn die Kugel hat ja nicht die anvisierte Person getroffen, also sind wir bei Beispiel 2.

Die zweite Frage ist, ob es an der Bewertung etwas ändert, dass er einem Irrtum dahingehend unterlag, wer wer war. Das ist nicht relevant, siehe Beispiel 1.

Es handelt sich also wiederum um versuchte vorsätzliche Tötung (diesmal an B) und um fahrlässige Tötung (an O).

Schlussfolgerung: Das Entscheidende ist also der Wille des Täters. Ob man ihm nachweisen kann, wen er wirklich töten wollte, ist freilich eine Frage der Beweiswürdigung und ausschließlich vom Einzelfall abhängig.

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