Warum der Bauer kein Kaufmann ist

Die Kaufleute haben seit langem eigene Rechtsnormen. Das Handelsgesetzbuch sieht vielerlei Abweichungen oder Ergänzungen im Hinblick auf das normale Zivilrecht des BGB vor. Außerdem gibt es noch gewisse Handelsbräuche, die ungeschrieben sind, aber als Geschäftsgrundlage eines Vertrags zwischen Kaufleuten vorausgesetzt werden. All dies nennt man das „Sonderprivatrecht der Kaufleute“.

Voraussetzung für dessen Anwendbarkeit ist natürlich, dass mindestens einer der Beteiligten Kaufmann ist – bei manchen Vorschriften müssen auch beide Vertragspartner Kaufleute sein.

Wer Kaufmann ist, legen in erster Linie die drei ersten Paragraphen des HGB fest. Das Schema ist im Wesentlichen das folgende:

  • § 2: Kaufmann ist, wer als Kaufmann im Handelsregister eingetragen ist.
  • § 1: Ein Unternehmer, der nicht als Kaufmann eingetragen ist, ist trotzdem Kaufmann, wenn sein Unternehmen „nach Art oder Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb“ erfordert.
  • § 3: Ein Land- und Forstwirt ist aber (in Abweichung von § 1) immer nur Kaufmann, wenn er als solcher eingetragen ist.

Ein Landwirt wird also immer nur dann Kaufmann, wenn er selbst die Initiative ergreift und sich eintragen lässt. Er kann es sich also heraussuchen, ob er die kaufmännischen Rechtsregeln für sich gelten lassen will oder nicht.

Da stellt sich natürlich die Frage, warum er diese komfortable Wahlmöglichkeit bekommt. Ein nichtlandwirtschaftlicher Unternehmer ist schließlich immer in der Kaufmannsrolle, sobald Art oder Umfang seines Geschäftsbetriebs dem eines Kaufmanns entsprechen.

Zur Beantwortung dieser Frage muss man sich ansehen, welche Rechtsfolgen die Vorschriften über Kaufmannsgeschäfte vorsehen. Diese Vorschriften führen in erster Linie dazu, dass Geschäfte schneller und reibungsloser verlaufen als normalerweise. Dies kann natürlich nur dadurch erreicht werden, dass die Beteiligten weniger geschützt werden als durch das normale Gesetz.

Macht das Gesetz also einen Unternehmer automatisch zum Kaufmann (wie eben § 1 HGB), nimmt es ihm bestimmte Schutzvorschriften. Nimmt es ihn hingegen vom Kaufmannsbegriff aus (wie den Landwirt über § 3 HGB), lässt es ihm diesen Schutz zukommen.

Warum braucht ein Kaufmann also mehr Schutz als ein anderer Unternehmer, zum Beispiel ein Handwerker?

Zum einen wurde dadurch historisch versucht, ein gewisses Ungleichgewicht zulasten von Landwirten auszugleichen. Auch ein relativ kleiner Bauernhof hat (zumindest in früheren Zeiten) bereits einige Angestellte, er hat eine Vielzahl von Abnehmern (insbesondere bei Hofläden), er lagert Waren (z.B. Futter- und Düngemittel) sowie seine eigenen Produkte ein, er nimmt Kredite in Anspruch usw. Damit wäre ein eigentlich kleingewerbetreibender Bauer häufig sofort ein Kaufmann.

Zum anderen ging man wohl davon aus, dass es sich bei Landwirten um einen eher einfachen Menschenschlag handelt, den man mit den Schnelligkeit und präzise Auffassungsgabe erfordernden Handelsbräuchen nicht überfordern wollte. Ob das so jemals richtig war, wird man schwer im Nachhinein feststellen können; angesichts des heutigen durchformalisierten Subventionsprozesses ist es sicher nicht mehr richtig.

Dass Schutz nicht immer etwas Positives ist, sondern sich auch einmal als Hemmschuh erweisen kann, bemängelt z.B. einer der führenden HGB-Kommentare, der „Baumbach/Hopt“. § 3, der „die Land- und Forstwirte vor den Anforderungen des Kaufmannsrechts bewahren“ wollte, habe dazu beigetragen, dass sich diese „(zu) spät auf moderne Geschäftsanforderungen eingestellt“ hätten (§ 3, Rdnr. 1). Mit anderen Worten: Ein schneller werdender Geschäftsverkehr betrifft auch die Unternehmer, die selbst keine Kaufleute sind – zum Beispiel, weil sie Verträge eingehen, die ihnen kaufmannsähnliche Pflichten auferlegen.

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