Klage gegen einen elfjährigen Fußballer

Nach einem Bericht der Mittelbayerischen Zeitung wurde ein Elfjähriger verklagt, weil er beim Warmmachen in der Halbzeitpause eines Fußballspiels seiner Mannschaft eine Zuschauerin mit dem Ball im Gesicht getroffen hat, woraufhin ihre Brille kaputtging. 710 Euro Schadenersatz wurde gefordert, mit weiteren Kosten ist die Summe mittlerweile auf knapp 1000 Euro angewachsen. Im Internet hat sich die Geschichte recht schnell verbreitet und zu ungläubigem Staunen, irritierten Fragen und auch zu rechtlichen Missverständnissen geführt. Einigem davon wollen wir heute kurz auf den Grund gehen – freilich können wir die Sache selbst hier nicht entscheiden, sondern lediglich abstrakt die Rechtslage darstellen.

Warum kann ein Elfjähriger verklagt werden? Liegt die Strafmündigkeitsgrenze nicht bei vierzehn?

Das ist richtig, ein Jugendstrafverfahren ist erst ab 14 Jahren möglich. Allerdings geht es hier nicht um ein Strafverfahren, sondern um einen Zivilprozess. Der „Täter“ soll ja nicht staatlicherseits bestraft werden, sondern die Geschädigte will ihren Schaden ersetzt haben. Die Deliktsfähigkeitsgrenze, also das Alter, ab dem man für Schäden verantwortlich sein kann, liegt bei sieben Jahren (§ 828 Abs. 1 BGB).

Verklagt werden kann man, wenn man zivilrechtlich parteifähig ist. Parteifähig ist, wer rechtsfähig ist (§ 50 Abs. 1 ZPO). Rechtsfähig ist ein Mensch, sobald seine Geburt vollendet ist (§ 1 BGB). Man kann also ein Baby bereits an seinem ersten Lebenstag vor Gericht zerren.

Warum lassen die Staatsanwaltschaft und das Gericht so ein Verfahren zu?

Noch einmal: Das ist kein Strafverfahren. Es gibt hier keine Staatsanwaltschaft, die Geschädigte klagt selbst. Und während ein Strafgericht die Eröffnung eines Hauptverfahrens ablehnen kann, gibt es diese Möglichkeit im Zivilrecht nicht. Jede Klage muss grundsätzlich angenommen und dann in der Sache entschieden werden. Darauf hat der Bürger natürlich einen Anspruch, denn sonst könnte er sein vermeintliches Recht ja nicht durchsetzen.

Muss man bei Minderjährigen nicht eigentlich die Eltern verklagen?

Nein, Anspruchsgegner ist immer nur der Schädiger selbst. Eltern haften – auch, wenn manches Baustellenschild anderer Meinung ist – nicht für ihre Kinder. Es ist also keineswegs so, dass die Haftung bei einem Minderjährigen automatisch auf die Erziehungsberechtigten rüberspringt.

Der Elfjährige wird allerdings im Prozess (wie auch sonst im Leben) durch seine Erziehungsberechtigten vertreten (§ 51 Abs. 1 ZPO, § 1629 BGB). Wird er aber zu Schadenersatz verurteilt, kann nur in sein Vermögen (seine Playstation, sein Sparbuch, seine Fußballschuhe, …) vollstreckt werden, nicht etwa in das Vermögen seiner Eltern.

Sind die Eltern nicht wegen Verletzung der Aufsichtspflicht dran?

Das wäre denkbar, eine solche Haftung sieht das Gesetz ausdrücklich vor (§ 832 Abs. 1 BGB). Ein derartiger Anspruch müsste aber in einem Prozess gegen die Eltern eingeklagt werden. Bisher wurde anscheinend nur gegen das Kind selbst geklagt. Ob die Eltern hier konkret überhaupt eine Aufsichtspflicht hatten, ist schwer zu sagen. Einem Kind das Fußballspielen zu erlauben, noch dazu im Vereinsbetrieb, ist sicher keine Verletzung einer elterlichen Pflicht. und beim Fußballspielen wird man nicht erwarten können, dass die Eltern jeden Schuss ihres Sprößlings im Vorhinein berechnen und gegebenenfalls einschreiten.

Haftet der Verein für Schäden aus dem Spielbetrieb?

Prinzipiell ist auch das denkbar, allerdings wird die Haftung gegenüber Zuschauern regelmäßig in zulässiger Weise vertraglich begrenzt. Welches Verschulden den Verein hier treffen könnte, ist sehr schwer zu sagen. Jedenfalls wäre auch dafür eine Klage gegen den Verein notwendig.

Warum zahlt die Haftpflichtversicherung (des Kindes/der Eltern/des Vereins) nicht?

Die Versicherung zahlt nicht immer, wenn es einen Schaden gibt, sie übernimmt lediglich die Schadenersatzpflicht ihres Versicherungsnehmers. Wenn dieser aber gar nicht haftet, gibt es auch keinen Grund für die Versicherung, zu zahlen. Wird der Junge also zur Zahlung verurteilt, würde eine Versicherung (sofern sie abgeschlossen wurde und auch derartige Schäden abgedeckt sind) einspringen.

Warum verklagt man denn ein Kind?

Weil man seinen Schaden ersetzt bekommen will. Und Zielrichtung einer solchen Klage ist vielleicht nicht einmal das Kind, sondern – wie in der letzten Frage schon angeklungen ist – die dahinterstehende Versicherung. Diese sieht es aber bisher nicht ein, den Schaden zu bezahlen, da sie keinen Haftungsgrund sieht. Damit sie zahlt, muss also erst einmal ein Urteil da sein, das ihren Versicherungsnehmer zur Zahlung verpflichtet.

Gehört es nicht zum allgemeinen Risiko, dass man beim Fußball auch mal von einem Ball getroffen wird?

Ja, durchaus. Dass man als Spieler gewisse Blessuren davonträgt, die auch bei regelkonformem Spiel nicht zu vermeiden sind, ist ein Risiko, das jeder bewusst eingeht. Daher gibt es hier grundsätzlich keinen Schadenersatz, da man in solche Schäden quasi vorab eingewilligt und damit die Rechtswidrigkeit entfällt. Ob es hier auch so ist – die Geschädigte ist keine Spielerin, sondern Zuschauerin; der Schaden trat nicht beim Spiel, sondern in der Halbzeitpause ein -, kann nur der dann zuständige Richter entscheiden.

Ist es nicht unfair, dass die Geschädigte dann vielleicht auf ihrem Schaden sitzenbleibt?

Es gilt der Grundsatz „casum sentit dominus“ – der Eigentümer trägt den Schaden an seiner Sache grundsätzlich selbst. Schadenersatz gibt es nur, wenn es hierfür eine Anspruchsgrundlage gibt. Kommt niemand in Betracht, der nach den gesetzlichen Regeln für den Schaden haftet, dann ist das das Pech des Eigentümers – auch dann, wenn dieser selbst ebenfalls nicht für den Schaden kann.

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