Thomas Fischer über Beleidigungsklagen

Thomas Fischer ist und bleibt einer der bedeutendsten Strafrechtler der Bundesrepublik. Sowohl in seinen Zeitungskolumnen als auch in seinem StGB-Kommentar finden sich laufend brillante Analysen über das Recht. Dabei geht es keinesfalls nur um Paragraphen und Auslegungen, sondern häufig auch um die Verortung des Rechts im realen Leben. So schreibt der BGH-Richter bspw. in seinem Kommentar (vor § 185, Rdnr. 6) zur Bedeutung der Beleidigungsdelikte:

In der öffentlichen Meinung (und medialen Darstellung) gelten Strafanzeigen, Widerrufs- und Schadensersatzklagen wegen Beleidigung geradezu als Kennzeichen von Kleinkariertheit, mangelnder Souveränität und lächerlicher „Prozesshanselei“.

Dem ist wenig hinzuzufügen. Das StGB stammt im Bezug auf die (im Gegensatz zu praktisch allen anderen Abschnitten seit Inkrafttreten kaum reformierten) Beleidigungsdelikte aus einer Zeit, in der man nichts „auf sich sitzen lassen“ durfte. Als man die Satisfaktion durch Duelle gerade hinter sich gelassen hatte, aber die Ehre unbedingt gegen Angriffe verteidigt werden musste. Die StPO ermöglichte es daher (und ermöglicht es immer noch), solche Delikte durch die Privatklage zu erfolgen – hier tritt der Verletzte wie ein Staatsanwalt auf und klagt nicht etwa auf Schadenersatz oder Schmerzensgeld für sich, sondern auf Bestrafung des Täters. Was sich heute kaum noch jemand antut, hatte früher eine enorme Bedeutung.

Heute sind wir dagegen unsere „Fifteen Minutes of Shame“ gewohnt. Beleidigungen sind, wiederum kann es niemand besser sagen als Fischer, „ubiquitär verbreitet“. Was vor hundert Jahren noch zu handfesten Auseinandersetzungen geführt hätte, ist heute nicht mehr der Rede wert. Man beleidigt sich, man meint es oft gar nicht ernst. Eine einmal geschehene Beleidigung bleibt kaum noch hängen. Und das Schlimmste, was man tun kann, ist, diese Beleidigung zu perpetuieren, indem man sie in einem Rechtsstreit neu aufwärmt.

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