Warum der öffentlich-rechtliche Rundfunk verfassungswidrig ist

sharp-1844964_640Kurzfassung: Ein öffentlich-rechtliches Rundfunkangebot verstößt gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Die bloße Existenz von ARD, ZDF und anderen staatlichen Fernseh- und Radioprogrammen stellt einen Eingriff in die Rundfunkfreiheit dar. Eine Rechtfertigung scheidet angesichts etablierter und pluralistischer privater Marktteilnehmer aus.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk, insbesondere seine Finanzierung durch Zwangsgebühren, die noch heute als „GEZ“ im allgemeinen Sprachgebrauch fest verankert sind, ist seit Langem Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen. Die neue, nicht mehr geräte-, sondern haushaltsbezogene Abgabe unter dem offiziellen Begriff „Rundfunkbeitrag“ wurde bereits mehrfach von verschiedensten Verwaltungs- und Verfassungsgerichten bestätigt. Daran, dass auch das Bundesverfassungsgericht diese Diskussion bald durch eine in Stein gemeißelte Rechtsprechung zu Gunsten der GEZ beenden wird, gibt es kaum einen Zweifel.

Und doch sprechen die besseren Argumente unbedingt für eine Verfassungswidrigkeit eines staatlich beeinflussten Rundfunks.

Grundrecht Rundfunkfreiheit

Die entscheidende Verfassungsnorm ist Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, auch wenn man es ihr nicht auf den ersten Blick ansieht:

Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet.

1. Eines der hier verbürgten Grundrechte ist die sog. Rundfunkfreiheit, die das Recht auf Berichterstattung schützt.

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk als Grundrechtsträger

a) Auf die Rundfunkfreiheit können sich – dies ist relativ unstreitig – nicht nur private Betreiber berufen, sondern auch die staatlichen Rundfunkanstalten. Insoweit ergibt sich eine Ausnahme zur allgemeinen Grundrechtslehre, die einseitig den Bürger berechtigt und den Staat verpflichtet.

b) Nun haben aber die privaten Fernseh- und Radiounternehmen ihrerseits aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG (schon gemäß der klassischen Grundrechtslehre) einen Abwehranspruch gegen den Staat. Dieses Grundrecht untersagt es dem Staat, in die Freiheit der Berichterstattung einzugreifen.

Staatsfunk als Grundrechtseingriff

2. Bereits die Existenz von staatlichen Rundfunkangeboten beeinträchtigt diese Freiheit.

a) Jedes Angebot, das von den Abnehmern konsumiert wird, sorgt dafür, dass ein anderes Angebot nicht konsumiert wird. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist eine Konkurrenz zum privaten, weil die wenigsten Menschen zwei Sender gleichzeitig anschauen können. Eine Marktbeteiligung des Staates ist stets ein Eingriff in die Berufsfreiheit der am Markt tätigen Bürger, hier speziell in die Rundfunkfreiheit.

b) Nun hat die Rechtsprechung die Frage der Vereinbarkeit der Rundfunkfreiheit mit der Existenz öffentlich-rechtlicher Sendeanstalten natürlich durchaus erkannt, aber höchst fragwürdig gelöst.

Staatsferne, Bestand und Entwicklung

aa) Zum einen soll hieraus eine notwendige Staatsferne der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten ableitbar sein. Dies mag man mit gutem Grund fordern, in der Realität ist sie eine absolute Illusion. ARD. ZDF und alle anderen Programme sind reine Staatsbetriebe, die genauestens auf den Proporz achten und unter extremer politischer Kontrolle stehen. Wenn, wie jüngst bei der Entscheidung zum ZDF-Staatsvertrag, Fälle allzudeutlicher Beherrschungsversuche vom Bundesverfassungsgericht zurückgepfiffen werden, darf dies trotzdem nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch innerhalb des erlaubten Rahmens eine Fülle von Beeinflussungsmechanismen durch Parteien und Politik gibt.

bb) Zum anderen solle sich aus der Rundfunkfreiheit ein spezielles Recht der öffentlich-rechtlichen Sender ergeben. Diese hätten eine Bestands- und Entwicklungsgarantie. Damit macht das Bundesverfassungsgericht etwas geradezu Einmaliges: Es schafft ein Grundrecht des Staates (und nichts anderes ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk, siehe oben) gegen den Bürger. Denn indem der Bestand der öffentlich-rechtlichen Staatsrundfunkanstalten verfassungsmäßig abgesichert wird, wird er vor den Marktmechanismen und damit auch vor der Konkurrenz durch Private geschützt. Der Staat nimmt sich also ein Teilmonopol heraus, indem er die Marktteilnahme der von ihm eingerichteten Sender erzwingt. Eine derartige Auslegung von Art. 5 GG widerspricht der gesamten Rechtsdogmatik bei allen anderen Grundfreiheiten.

c) Unter dem Strich ist also eine Erfüllung eines Verfassungsauftrags aus Art. 5 durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht vertretbar. Was bleibt, ist ein „ganz normaler“ Grundrechtseingriff des Staates gegenüber dem Bürger, hier den privaten Sendern. Diese können sich als juristische Personen ohne Weiteres auf die Grundrechte berufen (Art. 19 Abs. 3 GG).

Zustimmungsgesetze zu Rundfunkstaatsverträgen als Eingriffsnorm

3. Ein Eingriff in dieses Grundrecht bedarf einer ordnungsgemäßen Rechtsgrundlage.

a) Der Eingriff darf – wie allgemein – nur durch ein formell einwandfreies Gesetz erfolgen.

aa) Es gibt zwar kein formelles Parlamentsgesetz, das den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland regeln würde. Dies liegt schon einmal daran, dass Rundfunk Ländersache ist und der Bund darum kein Gesetz verabschieden könnte, das den Rundfunk regelt. Die Länder wiederum haben davon abgesehen, jeweils eigene Rundfunkgesetze zu verabschieden, und zentralisieren den Rundfunk durch den Abschluss von Staatsverträgen, mit denen dann doch eine bundeseinheitliche Regelung erfolgt. Praktisch alle materiellen Vorschriften über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk finden sich in Staatsverträgen der 16 Bundesländer miteinander, deren wichtigste der Rundfunk-, der ARD-, der ZDF-, der Deutschlandradio-, der Rundfunkbeitrags-, der Rundfunkfinanzierungs- und der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag sind. Das grundrechtsbeschränkende Gesetz ist aber für jeden Bürger der Zustimmungsbeschluss „seines“ Landtags, durch den dieser seine Gesetzgebungsbefugnis über das Rundfunkrecht dahingehend ausgeübt hat, den jeweiligen Staatsvertrag zu ratifizieren.

Zitiergebot hilft nicht weiter

bb) Unter Umständen könnte man auch noch auf eine Verletzung des Zitiergebots abstellen. Denn nach Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG muss das Gesetz die Grundrechte, die es einschränkt, im Text nennen, also „zitieren“. Dieses Zitiergebot verfolgte ursprünglich das Ziel, den Gesetzgeber zu warnen und ihm eine Besinnung auf die Gewichtigkeit eines Grundrechtseingriffs vorzuschreiben; es sollte eine Hürde aufgebaut werden, damit Grundrechtseingriffe nicht leichtfertig passieren. Tatsächlich hat diese Anforderungen praktisch keinerlei Schutzfunktion ausüben können.

(1) Nach herrschender Meinung gilt das Zitiergebot für die Rundfunkfreiheit schon gar nicht, weil diese ohnehin nur im Rahmen der allgemeinen Gesetze (Art. 5 Abs. 2 GG) gilt. Das Grundrecht enthält also schon seine eigene Einschränkung, die jeweiligen Gesetze füllen diese nur noch aus und begründen keinen neue Einschränkung.

(2) Sogar, wenn man diese Einschränkung des Zitiergebots für bestimmte Gesetze ablehnt, wird man hier möglicherweise gar nicht dazu kommen, einen zitierpflichtigen Eingriff in formeller Hinsicht anzunehmen. Denn der öffentlich-rechtliche Rundfunk bestand in den Ländern bereits vor Inkrafttreten des Grundgesetzes. Formell gesehen stellte also der Staatsfunk zunächst keinen Eingriff dar, sondern war Teil des deskriptiven Begriffs „Rundfunk“. Materiell mag dies freilich – siehe unten – anders zu beurteilen sein, da sich die Beurteilung der Frage eines materiellen Eingriffs wandeln kann.

(3) Im Übrigen wäre ein Verstoß gegen das Zitiergebot jederzeit durch Änderung der jeweiligen Zustimmungsgesetze ohne politische Diskussion und ohne Aufwand heilbar.

b) Aber auch materiell muss dieser Eingriff ordnungsgemäß sein, er muss insbesondere gerechtfertigt werden können. Das ist dann der Fall, wenn er andere wichtige Staatsziele, insbesondere solche aus dem Bereich der Grundrechte, verfolgt.

Praktische Konkordanz mit Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG

aa) Denkbar wäre hier ein Konkurrenzverhältnis zu Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG:
Jeder hat das Recht, (..) sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.

Wäre dieses Recht aufgrund eines Mangels an allgemein zugänglichen Quellen, zu denen auch der Rundfunk gehört, gefährdet, wäre eine Kollision zwischen Satz 1 und Satz 2 möglich, die dem Staat erlauben würde, in letztere Vorschrift einzugreifen (praktische Konkordanz).

(1) Man kann dahingestellt lassen, ob die Grundrechte überhaupt derartige Leistungsrechte gegen den Staat ermöglichen – richtiger ist wohl, dies abzulehnen, da die Grundrechte in erster Linie Abwehrrechte sind. Aber sogar, wenn man dies anders sieht: Ist die Informationszugangsfreiheit ernsthaft gefährdet? In einer Welt mit zahllosen privaten Sendern, mit privaten Zeitungen, mit privaten Internetseiten, mit ständig neu hinzukommenden Nachrichtenquellen und Nachrichtenempfangsmöglichkeiten ruft doch niemand ernsthaft nach dem Staat, seinen Informationshunger befriedigen zu lassen.

(2) Dies mag nach dem Zweiten Weltkrieg noch etwas anders gewesen sein. Die Medienlandschaft war bei Weitem noch nicht derart ausgeprägt, an private Fernsehsender war kaum zu denken. Dass man in dieser Phase dem Staat (und nur dem Staat) zutraut, für Nachrichtensendungen und pluralistische Tatsachenvermittlung zu sorgen, ist noch nachvollziehbar – wenngleich jede Empirie dagegen spricht und die staatliche Propaganda der Nationalsozialisten und ihre verheerende Wirkung eigentlich gerade zu dieser Zeit als abschreckendes Beispiel hätte dienen müssen.

(3) Aber sogar, wenn man dieser Sichtweise anhängt und meint, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk sei es zu verdanken, dass eine funktionierende Medienlandschaft entstanden ist: Die Notwendigkeit staatlicher Anschubmaßnahmen ist längst vorbei. Man kann den Rundfunk, der sich mittlerweile in so vielen Facetten entwickelt hat, endgültig privater Initiative und den Mechanismen des Marktes überlassen. Denn es sind fast ausschließlich Privatleute, die für den Fortschritt auf diesem Gebiet verantwortlich sind. Und vieles, was in den letzten Jahren an Entwicklung im Bereich der öffentlich-rechtlichen Sender passiert ist, sei es die Online-Fixierung, das Angebot von HD-Auflösung oder die mittlerweile unzähligen Spartenkanäle, war in erster Linie eine Reaktion auf private Konkurrenten.

(4) Wie man angesichts dieses mannigfaltigen Marktes meinen kann, der Staat müsse – sogar von Verfassung wegen – immer noch wie 1949 eine Grundversorgung gewährleisten, damit seine Bürger informationell nicht verkümmern, ist nicht nachvollziehbar.

Vermeintliches Niveau ist kein Argument

bb) Nicht verwechseln darf man diese Frage der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung eines Grundrechtseingriff mit der Frage, ob öffentlich-rechtlicher Rundfunk nützlich ist oder man ihn gerne konsumiert. Es gibt kein Staatsziel der Verbreitung guter, lehrreicher oder sehenswerter Fernsehprogramme. Was den Menschen gefällt, das werden sie auch auf dem freien Markt ansehen.

Wer nun meint, anspruchsvolle Sendungen (gutgläubig unterstellt, der öffentlich-rechtliche Rundfunk produziere solche) hätten auf dem Markt keine Chance, weil diese niemand ansieht, sodass sie auch keine Werbemöglichkeiten und damit Einnahmen eröffnen, entlarvt sich selbst: Denn entweder planen die öffentlich-rechtlichen Sender dann am Publikum vorbei, damit wären sie undemokratisch, weil sie von Menschen finanziert werden (müssen), die diese Angebote gar nicht erst wahrnehmen (wollen).

4. Somit verletzen die Zustimmungsgesetze der Bundesländer die Rundfunkfreiheit und sind nichtig. Dass sich diese Ansicht in der Wissenschaft oder gar in der Rechtsprechung durchsetzt, darf freilich bezweifelt werden.

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