Fall Böhmermann/Erdogan: Die Strafverfolgungsermächtigung durch die Bundesregierung

Die Entscheidung der Bundesregierung, die Ermächtigung zur Strafverfolgung Jan Böhmermanns wegen angeblicher Beleidigung des türkischen Präsidenten Erdogan zu erteilen, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die dafür gegebene Begründung ist jedoch sachlich falsch und unehrlich. Kanzlerin Merkel hätte sich nicht hinter der Unabhängigkeit der Justiz verstecken dürfen.

In einem Rechtsstaat bedeutet die Ermächtigung zur Strafverfolgung von Beleidigung ausländischer Regierungen lediglich, dass man der unabhängigen Justiz die Aufgabe überträgt, über die Strafbarkeit zu entscheiden – so in etwa hat Kanzlerin Angela Merkel die Entscheidung der Bundesregierung, ein Strafverfahren gegen Jan Böhmermann zuzulassen, begründet.

Dies hört sich zunächst sehr vernünftig, sehr staatstragend und demokratischen Prinzipien verbunden an. Tatsächlich ist der Verweis auf die Gewaltenteilung hier völlig fehl am Platz.

Staatsanwälte sind weisungsgebunden

Dies beginnt schon mal damit, dass es keine Gewaltenteilung zwischen Regierung und Staatsanwaltschaft gibt. Der Justizminister ist oberster Vorgesetzter der Staatsanwälte, also auch oberster Strafverfolger. Dass sich Regierungen in der Regel nicht in Ermittlungsverfahren einmischen, ist lediglich so üblich, weil man nicht den Eindruck erwecken will, bspw. Verfahren gegen Parteifreunde verhindern zu wollen.

Aber die Staatsanwälte sind ganz normale Beamte. Sie sind keine Richter, die ihr Amt unabhängig und unbeeinflusst wahrzunehmen haben. § 146 GVG sagt:

Die Beamten der Staatsanwaltschaft haben den dienstlichen Anweisungen ihres Vorgesetzten nachzukommen.

Nun ist der Vorgesetzte der Landesstaatsanwaltschaft nicht der Bundesjustizminister, sondern der jeweilige Landesminister, aber trotzdem sind sie Teil der Exekutive, sie sind in die staatliche Bürokratie eingebunden und nicht unabhängig.

Dafür, dass die Staatsanwaltschaft nicht einfach Ermittlungen unterlässt, obwohl sich ein Verdacht aufdrängt, sorgen zum einen die gesetzlich festgeschriebene Ermittlungspflicht (§ 160 StPO) als auch die Möglichkeit, durch gerichtliche Entscheidung eine Anklage zu erzwingen (§ 172 Abs. 2 bis 4 StPO).

Bundesregierung muss eigene Entscheidung treffen

Zudem ordnet § 104a StGB ausdrücklich an, dass die Bundesregierung hier entscheiden muss:

Straftaten nach diesem Abschnitt werden nur verfolgt, wenn (…) die Bundesregierung die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt.

Während bei einem normalen Strafverfahren die Staatsanwaltschaft ermittelt, sobald sie einen ausreichenden Anfangsverdacht dafür sieht, muss bei den Straftaten gegen ausländische Staaten nach den §§ 102 bis 104 zunächst eine Ermächtigung erfolgen, bevor die Strafverfolgung beginnen darf. Denn nicht jedes böse Wort gegen eine andere Regierung soll für die deutsche Justiz relevant sein, sondern nur solche, die auch vom deutschen Staat für verfolgungswürdig gehalten werden.

Und genau diese Ratio bedeutet, dass es sich die Bundesregierung nicht so einfach machen und die Entscheidung der Justiz überlassen darf. Die Bundesregierung muss und darf nicht über Schuld und Unschuld entscheiden; aber sie muss sich festlegen, ob sie der Meinung ist, der Verdächtige Jan Böhmermann solle verurteilt werden, wenn er die Tat begangen hat.

Schutzvorschrift des StGB wird umgangen

Nun mag man sagen: „Wenn er gegen das Gesetz verstoßen hat, dann wird er eben auch strafrechtlich verfolgt, so ist das nunmal.“ Das ist schon richtig, aber den § 103 („Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten“) muss man stets zusammen mit dem erwähnten § 104a lesen. Die Strafbarkeit steht eben unter der Bedingung, dass er zum einen die Tat begangen, zum anderen aber auch die Bundesregierung zustimmt. Nimmt sich diese nun vornehm zurück und verweist auf die Rolle von Staatsanwaltschaft und Gericht, weitet sie die Strafbarkeit in gesetzeswidriger Weise aus.

Denn der Gesetzgeber wollte gerade, dass § 103 nur bei ausdrücklicher Ermächtigung durch die Regierung Anwendung findet und nicht jede tatbestandsmäßige Tat auch verurteilt wird. Hätte der Gesetzgeber vorausgesehen, dass die Regierung das Strafverlangen der Türkei einfach durchwinken würde, gäbe es § 103 vielleicht gar nicht. Diesen Schwarzen Peter können die Bundeskanzlerin und ihre Minister also nicht einfach an die Strafjustiz weitergeben. Sie höhlen damit eine Vorsichtsmaßnahme des StGB einfach aus und nehmen dem Betroffenen einen Schutzmechanismus.

Nicht rechtswidrig, aber unehrlich

Die Bundesregierung hat damit im Ergebnis selbstverständich nicht rechtswidrig gehandelt. Sie hatte das Recht, die Ermächtigung zu erteilen. Diese muss sie auch nicht begründen. Aber wenn sie sie dennoch begründet, dann hätte sich Frau Merkel ganz ehrlich vor die Kameras stellen müssen und sagen: „Ja, wir wollen, dass Herr Böhmermann für sein Gedicht strafrechtlich sanktioniert wird. Wir hätten dieses Verfahren verhindern können, aber das wollten wir nicht. Wenn der türkische Präsident durch deutsche Medien auf diese Weise kritisiert wird, dann wollen wir die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen lassen.“

Sich aber hinter die Unabhängigkeit der Justiz wegzuducken, ist sachlich falsch, feige und unehrlich.

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