Die Nichtigkeit von Verwaltungsakten und Urteilen

Dieser Text gibt eine Übersicht über die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Nichtigkeit von Verwaltungsakten und Gerichtsurteilen, insbesondere in Abgrenzung zur bloßen Rechtswidrigkeit. Rechtswidrige Akte müssen rechtzeitig angegriffen werden, während nichtige Akte von vornherein keine Wirkung entfalten. Da Nichtigkeit sehr selten vorliegt, sollte keinesfalls darauf vertraut werden.

Unterschied zwischen Rechtswidrigkeit und Nichtigkeit

Im Recht gibt es ganz erhebliche Unterschiede zwischen Rechtswidrigkeit und Nichtigkeit. Wenn ein behördlicher oder gerichtlicher Akt gegen ein Gesetz verstößt, dann ist er regelmäßig rechtswidrig. Man muss also dagegen vorgehen, sei es durch einen Widerspruch bzw. durch Klageerhebung oder durch Einlegung eines Rechtsmittels. Versäumt man die dafür vorgesehene Frist, wird der Verwaltungsakt bestandskräftig bzw. das Urteil rechtskräftig. Man kann danach nicht mehr dagegen vorgehen, egal wie offensichtlich es ist, dass die Entscheidung falsch war. Auch in der Vollstreckung wird man mit diesem Einwand nicht mehr gehört.

Anders dagegen ist es bei der Nichtigkeit. Ist ein staatlicher Akt nichtig, ist er praktisch nicht existent. Man muss ihn nicht anfechten, man kann ihn nicht einmal anfechten – denn wo nichts ist, muss man gegen nichts vorgehen. Allerdings kann man auch hier Rechtsmittel beschreiten, um den Rechtsschein, der auch von einer nichtigen Handlung ausgeht, zu beseitigen.

Nichtigkeit von Verwaltungsakten

Aber wann liegt nun Nichtigkeit und wann nur bloße Rechtswidrigkeit vor?

§ 44 VwVfG (und daran anschließend auch die Landesverwaltungsgesetze, z.B. Art. 44 BayVwVfG) regelt die Nichtigkeit:

(1) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist.

Dieser Grundsatz hilft natürlich nicht viel weiter. Der Fehler muss also besonders schwerwiegend und zudem offensichtlich sein – aber wann ist der Fehler nun schwer? Aus der Formulierung erschließt sich jedenfalls, dass die Hürden für die Nichtigkeit hoch sein sollen. Die Regel ist die einfache Rechtswidrigkeit.

Zwingende Regelungen

Für bestimmte Fehler legt Abs. 2 die Nichtigkeit jedoch zwingend fest:

(2) Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 ist ein Verwaltungsakt nichtig,
1. der schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Behörde aber nicht erkennen lässt;
2. der nach einer Rechtsvorschrift nur durch die Aushändigung einer Urkunde erlassen werden kann, aber dieser Form nicht genügt;
3. den eine Behörde außerhalb ihrer durch § 3 Abs. 1 Nr. 1 begründeten Zuständigkeit erlassen hat, ohne dazu ermächtigt zu sein;
4. den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann;
5. der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht;
6. der gegen die guten Sitten verstößt.

Diese Voraussetzung sind absolut selten gegeben. Die erlassende Behörde (Nr. 1) erschließt sich aus dem Bescheid; bei mündlichen Verwaltungsakten weiß man zumindest, zu welcher Behörde der Beamte gehört; bei Verkehrsschildern ist klar, dass diese das zuständige Amt aufgestellt hat. Urkundenbedürftige Verwaltungsakte (Nr. 2) gibt es sehr wenige, in ortsbezogene VA (Nr. 3) mischt sich eine fremde Behörde normalerweise nicht ein und Unmögliches (Nr. 4) fordert nicht einmal der Staat von seinen Bürgern. Ein strafbares Handeln wird wohl kaum jemals verlangt (Nr. 5) und sittenwidrig (Nr. 6) ist ein VA normalerweise auch nicht.

Demgegenüber legt Abs. 3 fest, wann keinesfalls Nichtigkeit gegeben ist:

(3) Ein Verwaltungsakt ist nicht schon deshalb nichtig, weil
1. Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten worden sind, außer wenn ein Fall des Absatzes 2 Nr. 3 vorliegt;
2. eine nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 6 ausgeschlossene Person mitgewirkt hat;
3. ein durch Rechtsvorschrift zur Mitwirkung berufener Ausschuss den für den Erlass des Verwaltungsaktes vorgeschriebenen Beschluss nicht gefasst hat oder nicht beschlussfähig war;
4. die nach einer Rechtsvorschrift erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde unterblieben ist.

Diese Fälle sind ebenfalls eher selten. Auch bei nicht-ortsgebundenen Verwaltungsakten achten die Behörden regeömäßig auf ihre Zuständigkeit (Nr. 1). Probleme der Befangenheit aufgrund Verwandtschaft oder besonderer persönlicher Beziehungen (Nr. 2) gibt es allenfalls in kleineren Gemeiden und an Mitwirkungen anderer Entscheidungsträger (Nr. 3 und 4) wird regelmäßig gedacht.

Offensichtlicher, besonders schwerwiegender Fehler

Es bleibt also in den allermeisten strittigen Fällen bei der Frage, ob ein offensichtlicher, besonders schwerwiegender Fehler vorliegt.

Ein besonders schwerer Fehler wird dann angenommen, wenn der VA einen derart schweren Widerspruch zur Rechtsordnung und zu grundliegenden Rechtsvorstellungen beinhaltet, dass sein Weiterbestehen unerträglich wäre. Der Verstoß muss sich also nicht nur gegen einzelne Rechtsvorschriften, sondern gegen die Rechtsordnung insgesamt richten. Dies ist vor allem der Fall bei:

  • reinen Gefälligkeitsentscheidungen, für die die gesetzlichen Voraussetzungen in keiner Weise gegeben waren (z.B. das Bauamt ordnet den Abriss eines völlig legal errichteten Hauses an, weil sich der Nachbar gestört fühlt)
  • absoluter sachlicher Unzuständigkeit (z.B. eine Universität stellt einen Führerschein aus)
  • völlig fehlender Verbandszuständigkeit (z.B. Bundesbehörde führt ein Landesgesetz aus; nicht dagegen umgekehrt, weil es durchaus üblich ist, dass niedrigere politische Ebenen die Beschlüsse höherer ausführen)
  • bei völliger Unbestimmtheit oder Unklarheit (z.B. es werden Handlungen verboten, aber nicht näher ausgeführt, welche Handlungen dies sein sollen)

Häufigste Fehler begründen keine Nichtigkeit

Keine Nichtigkeitsgründe sind dagegen:

  • Verfahrens- oder Formfehler (z.B. ein zwingend schriftlicher Verwaltungsakt wird nur per E-Mail versandt)
  • falsche Gesetzesanwendung (z.B. eine Gewerbeuntersagung wird verfügt, obwohl deren Voraussetzungen nicht vorlagen)
  • Verstoß gegen EU-Recht (z.B. eine Subvention ist nicht mit europarechtliche Vorschriften vereinbar)
  • grobe Fehler bei Sachverhaltsermittlung (z.B. es wird angenommen, dass ein Grundstück 10.000 m² groß ist, tatsächlich sind es nur 500 m²)
  • Erlass aufgrund Drohung oder Täuschung (z.B. Vorlage eines gefälschten Zeugnisses, um eine Zulassung zu erhalten; der VA ist dann aber ohne Weiteres rücknehmbar, § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1)
  • die Unwirksamkeit des Antrags (z.B. der Bauherr stellt den Bauantrag, während er geschäftsunfähig ist)
  • Nichtbestehen der Rechtsgrundlage (z.B. Aufhebung des zugrundeliegenden Gesetzes durch das Bundesverfassungsgericht)

Offenkundig ist der Fehler nur dann, wenn dem VA die Nichtigkeit „auf der Stirn geschrieben steht“. Jeder kundige, nicht unbedingt rechtskundige Betrachter muss ohne Zweifel davon ausgehen, dass der VA keinesfalls rechtmäßig sein kann.

Die Nichtigkeit von Urteilen

Im Gegensatz dazu gibt es in keiner Prozessordnung irgendeine Regelung dazu, wann ein Urteil nichtig ist. Teilweise wird sogar angenommen, dass die Rechtssicherheit bei Gerichtsurteilen derart wichtig ist, dass ein Urteil überhaupt nicht nichtig sein kann.

Die Rechtsprechung hat jedoch in ganz außergewöhnlichen Fällen ausnahmsweise anerkannt, dass ein Urteil nichtig sein kann. Verallgemeinerbare Fallgruppen lassen sich darauf praktisch nicht ableiten, da es sich um ganz individuelle Fehler handelt.

Hierzu zwei Beispiele aus den letzten Jahren:

Das OLG München (Az: 2 Ws 1149/12) hat entschieden, dass ein Urteil, das aufgrund einer rechtswidrigen Verständigung („Deal“) ergangen ist, nichtig ist, sofern dadurch grundlegende Prozessprinzipien umgangen werden. Allerdings stammt diese Entscheidung aus einer Zeit, zu der gerade das Bundesverfassungsgerichtsurteil zu den Deals und dem damals neu eingefügten § 257c StPO ergangen war. Die Entscheidung sollte klarstellen, dass nach der gesetzlichen Regelung der Deals kein Platz mehr für Verständigungen außerhalb des Gesetzes war.

Richter verurteilt, statt zu vernehmen

Einem Urteil des OLG Köln (Az: Ss 290/02) lag wohl ein größeres Kommunikationsproblem zugrunde: Der Betroffene in einer Bußgeldsache vor dem AG Lübeck saß wegen einer anderen Sache im Gefängnis in Euskirchen. Daraufhin beauftragte das AG Lübeck das AG Euskirchen, den Betroffenen im Gefängnis zur Sache zu vernehmen. Da der Betroffene zu dieser Vernehmung aber nicht erschien (wobei er an sich nicht weit weg gewesen sein kann…), entschied der Euskirchner Richter, der ja eigentlich nur die Aussage aufnehmen sollte, die Bußgeldsache zu entscheiden und den Einspruch zu verwerfen. Wenige Tage später erkannte der Richter offensichtlich seinen Fehler und wollte sein Urteil wieder aufheben – was aber eigentlich nicht geht. Das OLG Köln entschied, dass ein solches Urteil ausnahmsweise unwirksam ist, „weil seine Fehlerhaftigkeit so evident dem Geist der Strafprozessordnung und wesentlichen Prinzipien der rechtsstaatlichen Ordnung widerspricht, dass es unerträglich erscheint, sie als verbindlich hinzunehmen“.

Zusammenfassung

Man sollte sich als Adressat eines Verwaltungsakts oder Urteils keinesfalls auf die angebliche Nichtigkeit verlassen. Nichtigkeitsgründe gibt es wenige und sie liegen absolut selten vor. Darum sollte man sicherheitshalber immer die üblichen Rechtsbehelfe und Rechtsmittel innerhalb der dafür vorgesehenen Fristen ergreifen.

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