Dieser Text richtet sich in erster Linie an Rechtsreferendare, vor allem in Bayern, die regelmäßig (im Schnitt fast einmal pro Examenstermin) staatsanwaltschaftliche Abschlussverfügungen entwerfen müssen. Als Beschuldigter eines Ermittlungsverfahren ist es vielleicht auch ganz interessant, zu sehen, wie die Entscheidungsfindung der Staatsanwaltschaft funktioniert, allerdings erhält man selbst nur das Ergebnis dieses Prozesses – den Einstellungsbescheid oder die Anklageschrift. Ebenso bekommt das Opfer einer Straftat nur die Ladung als Zeuge zur Verhandlung oder die Mitteilung, dass das Verfahren eingestellt wurde, und eine Begründung hierfür. Die Abschlussverfügung selbst bleibt ein Behördeninternum, sie ist quasi eine Arbeitsanweisung an die Geschäftsstelle, welche Dokumente sie erstellen und an wen sie diese schicken muss.
Heute stellen wir an einer umfassenden (und selbstverständlich fiktiven) Verfügung dar, wie diese aussehen und welche Regelungen sie beinhalten können.
Staatsanwaltschaft München I
Az.: 123 Js 4567/16
Die Bezeichung der Behörde einschließlich staatsanwaltschaftlichen Aktenzeichens. Das „Js“ steht für ein Ermittlungsverfahren, die Zahl hinter dem Schrägstrich gibt das Jahr des Verfahrensbeginns an.
Verfügung:
I. Die Ermittlungen sind abgeschlossen.
Diese Feststellung ist gemäß § 169a StPO notwendig, da ab Ermittlungsabschluss ein unumschränktes Akteneinsichtsrecht des Verteidigers besteht, § 147 Abs. 2.
II. Das Verfahren gegen den Angeschuldigten wird hinsichtlich des Verdachts der Körperverletzung gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
Der Betroffene war also verdächtig, eine Körperverletzung begangen zu haben. Allerdings haben die Ermittlungen nicht gemäß § 170 Abs. 1 „genügenden Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage“ gegeben, der Verdacht hat sich also nicht erhärtet. Darum musste das Verfahren gemäß Abs. 2 der Vorschrift eingestellt werden, es endet also ohne Anklage und erst recht ohne Verurteilung.
Dass der Beschuldigte hier als „Angeschuldigter“ bezeichnet wird, ist übrigens ein Hinweis darauf, dass eine Anklage erfolgt ist, wenngleich in anderer Sache, und diese Anklage vom Gericht noch nicht zugelassen wurde. Im Ermittlungsverfahren bezeichnet man ihn als Beschuldigten, nach Eröffnung des Gerichtsverfahrens als Angeklagten, § 157 StPO.
Gründe:
1. Dem Angeschuldigten lag zur Last, Herrn Michael Maus am 14. Januar 2016 am Pasiger Bahnhofsplatz in München mit der Faust ins Gesicht geschlagen zu haben.
Nun muss begründet werden, warum das Verfahren hier eingestellt wurde. Dies beginnt zunächst mit einer knappen Darstellung des Vorwurfs.
2. Der Angeschuldigte bestreitet die Tat. Außer der Behauptung des Michael Maus gibt es keine belastenden Beweise gegen den Angeschuldigten. Der Anzeigeerstatter konnte auch keine ärztliche Bescheinigung über seine Verletzungen vorlegen.
Anschließend wird das Ergebnis der Ermittlungen, also die Beweissituation zusammengefasst.
3. Daher ist nicht bewiesen, dass der Angeklagte die fragliche Handlung begangen hat.
Die rechtliche Schlussfolgerung, die die Einstellungsentscheidung begründet.
Etwaige zivilrechtliche Ansprüche werden durch diesen Bescheid nicht berührt.
Dies ist lediglich eine klarstellende Bemerkung. Die Staatsanwaltschaft prüft ausschließlich die strafrechtliche Seite. Der Anzeigeerstatter kann selbstverständlich trotzdem Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüche haben. Diese muss er aber selbst auf dem Zivilrechtsweg verfolgen.
III. Mitteilung von I. mit Gründen an Anzeigeerstatter
Der Anzeigeerstatter (oft, aber nicht zwingend der Geschädigte) erhält eine Mitteilung darüber, was aus dem Verfahren, das er durch seine Anzeige angeleiert hat, geworden ist. Ihm werden auch die Gründe mitgeteilt, da er ein Recht darauf hat, zu wissen, warum die Staatsanwaltschaft hier keine Veranlassung für eine Anklage gesehen hat.
Der Anzeigeerstatter kann gemäß § 172 Abs. 1 innerhalb von zwei Wochen Beschwerde gegen die Einstellungsentscheidung einlegen und, wenn diese erfolglos bleibt, gerichtliche Entscheidung (Abs. 2) verlangen. Hierüber ist er zu belehren und der Bescheid ist ihm zuzustellen, um den Beginn der Beschwerdefrist nachweisen zu können. Die Beschwerdemöglichkeit besteht aber nicht in folgenden Fällen:
- Anzeigeerstatter ist nicht Geschädigter – Er hat keine weiteren Rechte, er muss also über die Beschwerdemöglichkeit nicht belehrt werden (§ 172 Abs. 1).
- Es lagen ausschließlich Privatklagedelikte (§ 374 Abs. 1) vor – Dann kann er diese im Weg der Privatklage verfolgen, hat aber keine Beschwerdemöglichkeit gegen die staatsanwaltschaftliche Einstellungsentscheidung (§ 172 Abs. 2 Satz 3, erste Alternative). Allerdings ist er über die Modalitäten der Privatklage zu belehren.
- Die Staatsanwaltschaft hat wegen geringer Schuld von der Verfolgung abgesehen – Hier liegt eine Ermessensentscheidung vor, die der Staatsanwalt selbst zu treffen hat, diese kann nicht durch Rechtsbehelfe angefochten werden (§ 172 Abs. 2 Satz 3, zweite Alternative).
IV. Mitteilung von I. formlos an den Angeschuldigten
Der Angeschuldigte ist darüber zu informieren, wie das Verfahren insoweit ausgegangen ist. Die Gründe darüber werden ihm jedoch nicht mitgeteilt.
V. Anklage nach beiliegendem Entwurf
Soweit das Verfahren nicht eingestellt wurde, wird die Tat angeklagt. Wichtig ist dabei, dass die Anklageschrift separat gefertigt wird. Das Herzstück des Verfahrens befindet sich also gerade nicht in der Abschlussverfügung, es wird nur durch diesen unscheinbaren Satz darauf hingewiesen.
Da in der Anklageschrift keine Rechtsansichten mitgeteilt werden, sondern nur festgestellt wird, dass der mitgeteilte Sachverhalt den Tatbestand einer Strafnorm erfüllt, müssen Ausführungen dazu in einem Rechtsgutachten gemacht werden.
VI. Vermerk: Hinsichtlich der angeklagten Tat liegt eine Strafbarkeit wegen versuchten Totschlags nicht vor.
Wird die Tat nur hinsichtlich bestimmter Straftaten verfolgt, wird hierüber ein Vermerk gefertigt. Dieser Vermerk ist keine Einstellung, da nur gesamte Tatkomplexe eingestellt werden können. Der Vermerk dient nur der Klarstellung darüber, dass innerhalb dieses Tatkomplexes die eine Tat zur Anklage geführt hat, die andere aber nicht, obwohl sie von der Staatsanwaltschaft geprüft wurde.
Der Angeschuldigte hat glaubhaft gemacht, dass er nicht wusste, dass sich eine Person in der von ihm angezündeten Hütte befanden. Er hatte damit keinen Tötungsvorsatz.
Auch dieser Vermerk wird kurz begründet
VII. Handakte anlegen; Kopie dieser Verfügung, der Anklage und des BZRs zur Handakte geben; Wiedervorlage Handakte mit Eingang/spätestens in 1 Monat/Sitzungsvertreter zum Termin
Am Schluss folgen die organisatorischen Maßnahmen. Diese werden von der Geschäftsstelle nacheinander und ganz mechanisch ausgeführt:
- Es wird eine Handakte angelegt, die zur Information des Sitzungsvertreters in der Hauptverhandlung dient.
- In die Handakte werden die wichtigsten Dokumente aufgenommen, hier die Abschlussverfügung selbst, die Anklageschrift und der Bundeszentralregisterauszug (der die Vorstrafen des Angeklagten enthält).
- Die Handakte wird mit Eingang der Entscheidung des Gerichts über die Zulassung der Anklage (§§ 199, 203, 204 StPO), spätestens jedoch in einem Monat wieder vorgelegt, um den Fortgang des Verfahrens zu überwachen.
- Zum Termin der Hauptverhandlung wird ein Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft entsandt.
VIII. Zählkarte abtragen; Versendung vormerken
Die Zählkarte, die heute in aller Regel keine Papierkarte, sondern nur noch ein Computereintrag ist, wird ausgefüllt. Anhand der Zählkarten wird die Statistik des Staatsanwalts berechnet.
IX. Urschrift mit Akten an das LG München – Große Strafkammer – unter Wiederholung der in der Anklage gestellten Anträge
Die Akten werden im Original dem zuständigen Gericht, hier der Großen Strafkammer beim Landgericht München vorgelegt. Dabei werden die Anträge gestellt, die in der Anklageschrift stehen, nämlich auf Eröffnung der Hauptverhandlung, auf Anberaumung eines Termins und ggf. auf Fortdauer der Untersuchungshaft.