Befangenheit? Vom Bundestag ans Verfassungsgericht

Stephan Harbarth wird neuer Richter am Bundesverfassungsgericht. An seiner fachlichen Qualifikation gibt es sicherlich nichts auszusetzen. Als problematisch wird aber die Tatsache empfunden, dass Herr Harbarth unmittelbar aus der Politik an das Gericht wechselt, das gerade die Politik kontrollieren soll. Seit 2009 sitzt er für die CDU im Bundestag.

Übergangsloser Wechsel als Problem

Nun kann man grundsätzlich wohl schon davon ausgehen, dass er in seinem neuen Amt als Verfassungsrichter politische Bindungen zurückstellen kann. Wenn wir das bezweifeln, müssten wir das gesamte Bundesverfassungsgericht unter den Verdacht der Voreingenommenheit stellen, da fast alle seiner Mitglieder politische Beziehungen haben und in aller Regel bestimmten Parteien nahestehen – sonst würden sie normalerweise keine Verfassungsrichter.

Hier liegt der Fall aber etwas anders. Er hat keine Karenzzeit zwischen Politik und BVerfG eingelegt, sondern wechselt übergangslos. Und es ist davon auszugehen, dass er bald auch über Gesetze mitentscheiden muss, die er selbst mitverabschiedet hat. Die CDU war während der gesamten Zeit, in der Harbarth im Bundestag saß, an der Regierung beteiligt. Damit sind also praktisch alle Gesetze der letzten Jahre mit Zustimmung der CDU-Fraktion erlassen worden. Dass Herr Harbarth laufend gegen die Parteimeinung gestimmt hätte, ist nicht bekannt.

Bei Normenkontrollverfahren, aber auch bei Verfassungsbeschwerden kann es auf die Gültigkeit eines Bundesgesetzes ankommen. Dann wird er darüber urteilen, ob die Gesetze, denen er im Bundestag seine Stimme gegeben hat, auch mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Zugespitzt gesagt: Der Richter Harbarth wird entscheiden müssen, ob der Politiker Harbarth gegen die Verfassung verstoßen hat.

Bundesverfassungsgerichtsgesetz zu Interessenkonflikten

Ein solcher Interessenkonflikt hinterlässt ein ungutes Gefühl. Er geht aber nicht nur um Gefühle, sondern auch um rechtliche Gesichtspunkte. Die Unabhängigkeit eines Richters ist ein zentrales Merkmal des gesamten deutschen Prozessrechts, vom Amtsgericht bis zum BVerfG. § 18 Abs. 1 Nr. 2 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes sagt deshalb:

Ein Richter des Bundesverfassungsgerichts ist von der Ausübung seines Richteramtes ausgeschlossen, wenn er in derselben Sache bereits von Amts oder Berufs wegen tätig gewesen ist.

Die Verabschiedung eines Gesetzes und die mögliche Aufhebung des Gesetzes durch das Bundesverfassungsgericht sind natürlich dieselbe Sache. Insofern wäre also ein Konflikt gegeben, der zwangsläufig zur Befangenheit führt. Allerdings sieht Abs. 3 Nr. 1 derselben Vorschrift eine Ausnahme vor:

Als Tätigkeit im Sinne des Absatzes 1 Nr. 2 gilt nicht die Mitwirkung im Gesetzgebungsverfahren

Wer bei der Verabschiedung eines Gesetzes mitgewirkt hat, sei es nun als Regierungsmitarbeiter bei der Formulierung des Textes oder als Abgeordneter bei der Abstimmung, ist per se nicht befangen. Das ist eine vielleicht fragwürdige, aber klare gesetzliche Regelung, hiervon kommt man nicht weg.

Befangenheitsgründe

Neben diesen absoluten Befangenheitsgründen gibt es auch noch die „Besorgnis“ der Befangenheit (§ 19 Abs. 1 BVerfGG):

Wird ein Richter des Bundesverfassungsgerichts wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, so entscheidet das Gericht unter Ausschluß des Abgelehnten

Hier muss keine tatsächliche Befangenheit vorliegen, vielmehr reicht schon eine (nachvollziehbare) subjektive Sorge eines Beteiligten, dass ein Richter nicht neutral sein könnte. Nach ganz herrschender Meinung ist die Mitwirkung im Gesetzgebungsverfahren aber gerade kein Grund, der hier berücksichtigt werden könnte, denn sonst bräuchte es die differenzierten Regelungen in § 18 nicht.

Befangenheit kann wegen einer solchen Beteiligung nur gerügt werden, wenn über die normale Mitwirkung hinaus besondere zusätzliche Gründe vorliegen, die das Misstrauen rechtfertigen. Das wäre bspw. der Fall, wenn es sich um ein zentrales politisches Anliegen des damaligen Politikers handelte (z.B. die Agenda 2010 für Gerhard Schröder oder das NetzDG für Heiko Maas). Dass man mit Herrn Harbarth überhaupt irgendein Gesetz maßgeblich verbindet, kann man wohl nicht behaupten.

Politische Entscheidung

Wie geht die Politik nun damit um? Rein formalrechtlich kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass das BVerfGG nun einmal (siehe oben) eindeutig ist. Eine Befangenheit liegt nicht vor, also ist doch alles in Ordnung.

Freilich muss man dafür ausblenden, dass natürlich auch das Bundesverfassungsgerichtsgesetz durch die Politik verabschiedet wurde und sich dort die verabschiedenden Abgeordneten ins Stammbuch geschrieben haben, dass sie selbst nicht befangen sein werden, wenn sie denn einmal der Ruf nach Karlsruhe ereilen wird.

Ehrlicher wäre es, diese Problematik ernstzunehmen und das Gesetz zu ändern, um die oben beschriebenen Konflikte zu vermeiden. Dann wäre eben in ganz seltenen Fällen ein Verfassungsrichter befangen und müsste in der vorgesehenen Weise durch ein per Los bestimmtes Mitglied des anderen Senats ersetzt werden (§ 19 Abs. 4 BVerfGG). Alternativ könnte man auch eine Karenzzeit zwischen Politik und Richteramt einführen – das müsste nicht einmal gesetzlich erfolgen, es würde ja schon reichen, solche Kandidaten nicht vorzuschlagen.

Im Falle Stephan Harbarths gibt es keinen individuellen Grund, an seiner Integrität zu zweifeln. Gerade deswegen stellt sich aber die Frage, ob man ihm und dem Verfassungsgericht einen Gefallen damit getan hat, ihn allzuschnell die Seiten wechseln zu lassen.

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