Früher hat Amazon mal Bücher verkauft, dann wurde es zum Vollsortiment-Kaufhaus, mittlerweile ist es auch ein Fernsehsender. Eine der Eigenproduktionen von Amazon Prime Video heißt „Der Beischläfer“ und spielt damit weniger auf Geschlechtsverkehr und mehr auf die angeblich passive Rolle beisitzender Richter bzw. (hier) Schöffen an.
Alte Bekannte in den meisten Rollen
Die Hauptfigur Charlie Menzinger wurde von seiner verstorbenen Frau (das ist etwas kompliziert, aber bisher nicht weiter von Bedeutung) als Schöffe für das Münchner Amtsgericht nominiert und wird am Anfang der Serie unerwartet und rabiat von der Polizei zu seinem Dienst verbracht. Gespielt wird er von Markus Stoll, den man bisher vor allem als Bühnenfigur Harry G kannte.
Die Serie ist insgesamt durchaus solide gemacht. Die Neben-Hauptfigur ist, weil es in München bekanntlich akuten Preißn-Mangel gibt, eine gerade erst nach Bayern versetzte Richterin aus Berlin. In weiteren Rollen finden sich die halbe Besetzung von „Hubert und Staller“ und Fernseh-Urgesteine wie Gilbert von Sohlern. Die Musik liefert die bayerische Band „Dreiviertelblut“.
Die Behandlung juristischer Themen ist insgesamt überdurchschnittlich gelungen.
Juristisch zumindest bemüht
Dass das dargestellte Amtsgericht nicht das Strafjustizzentrum in der Nymphenburger Straße, sondern das Landgericht für Zivilsachen in der Pacellistraße ist, gehört wohl zur künstlerischen Freiheit bzw. zur Frage der Drehgenehmigung. Die Verhandlungen selbst dürften rein im Studio gedreht worden sein, so sieht jedenfalls kein Gerichtssaal in München aus.
Die durchaus unterschiedliche Rollenwahrnehmung von Schöffen – mal als tatsächlicher Beischläfer, mal als engagierter Wahrheitssucher – wird recht treffend dargestellt.
Dass die Straferwartung die Gerichtszuständigkeit bestimmt und die Grenze zwischen Einzelrichter und Schöffengericht bei zwei Jahren Freiheitsstrafe liegt, ist eine ungewöhnlich tiefe Einsicht für eine Fernsehserie. Dass umgekehrt nicht beachtet wird, dass das Schöffengericht nicht mehr als vier Jahre Freiheitsstrafe verhängen kann – geschenkt.
Kurze Verhandlungen, überraschende Themen
Die Verhandlungen sind deutlich gerafft und nehmen meist nur wenige Minuten ein. Es ist aber auch keine Gerichtsshow á la Salesch, die Handlung ist bewusst außerhalb des Prozesses angesiedelt. Sicher aus dramaturgischen Gründen bekommen die Geschädigten eine etwas größere Rolle als in der Wirklichkeit, sie dürfen bspw. einem Kläger gleich neben dem Staatsanwalt sitzen.
Extrem überraschend war, dass ein Trauma vieler Jura-Studenten doch tatsächlich behandelt wurde: Die actio libera in causa. Der Täter säuft sich zu, damit er für die geplante Tat schuldunfähig ist. Die juristische Bewertung dieser Frage wird zwar nicht in aller Breite behandelt, um den Zuschauer nicht zu sehr zu langweilen, aber sie wird zumindest vorausgesetzt, damit die dann folgenden Ermittlungen Sinn ergeben.
Ein bayerisches München als Kulisse
Die Realität wird eher außerhalb des juristischen Bereichs verlassen. Running Gags zum Mietpreisniveau und der Wohnungsnot in der Landeshauptstadt sind überspitzt, aber schon treffend: Die zugezogene Richterin wohnt bspw. in ihrem Dienstzimmer.
Aber daneben wird ein München gezeigt, das es so leider kaum noch gibt – ein bayerisches München. Es wird ein Idyll kleiner Handwerksbetriebe gezeigt, das weitgehend aus der Zeit gefallen scheint. Die Beteiligten sprechen, soweit sie nicht ausdrücklich als Auswärtige auftreten, überwiegend bairisch, wenngleich weitgehend an die Schriftsprache angepasst, um den deutschen Zuschauern das Verständnis zu erleichtern.
Am Ende der ersten Staffel verschlägt es die teutonische Richterin dann auch aus der Weltstadt München an ein ländliches Amtsgericht. Wir werden sehen, ob die Serie in der zu erwartenden zweiten Staffel ihren Witz behält oder ob nur ein mit Paragraphen geschmücktes dörfliches Grauen inszeniert wird, das bundesdeutschen Bayern-Klischees entgegenkommt.