Die vorläufige Vollstreckbarkeit in der ZPO (II)

Wenn ein Prozess beendet ist und das Urteil auf dem Tisch liegt, stellt sich die Frage, wie es nun umgesetzt, also in der Sprache des Gesetzes „vollstreckt“, werden kann. Grundsätzlich ist das kein Problem, man geht einfach zum Gerichtsvollzieher, falls das Gegenüber nicht freiwillig zahlt. Nun ist es aber so, dass gegen viele Urteile Rechtsmittel (Berufung, Revision) möglich sind. Es ist also nicht sicher, dass es beim zunächst gefällten Urteil bleibt. Wiederum andererseits hat der (vorläufige) Sieger ja ein Urteil in der Hand, es spricht also schon eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass er auch im Endeffekt gewinnen wird und einen endgültigen Anspruch auf die Leistung hat. Daher wäre es unbillig, ihn lange auf das ihm Zustehende warten zu lassen – ihn vielleicht so lange warten zu lassen, bis der Gegner gar kein Geld mehr hat.

Daher gibt es verschiedene Regelungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit nicht rechtskräftiger Urteile in der ZPO.

Dabei hat man sich dafür entschieden, grundsätzlich alle Urteile für vorläufig vollstreckbar zu erklären, und zwar teilweise mit (§ 709) und teilweise ohne (§ 708) Hinterlegung einer Sicherheitsleistung. Sicherheitsleistung bedeutet, dass der Sieger den Betrag, der er vollstrecken möchte, bei der zuständigen Hinterlegungsstelle (in aller Regel beim Amtsgericht, siehe zum Beispiel Art. 2 Abs. 2 des bayerischen Hinterlegungsgesetzes) „hinterlegt“, also in früheren Zeiten Bargeld oder Wertpapiere übergab, heutzutage auf das Konto überweist. Dadurch wird sichergestellt, dass der vorläufige Verlierer des Prozesses zwar zunächst zahlen muss, aber (falls er im Endeffekt doch gewinnen sollte) im Notfall auf das hinterlegte Geld zurückgreifen kann, um bei einer Insolvenz der anderen Partei nicht mit leeren Händen dazustehen. Die Sicherheitsleistung beträgt darum mindestens die zu vollstreckende Summe, in der Regel ordnet das Gericht noch einen zehnprozentigen Zuschlag an, um anfallende Nebenkosten zu decken.

Für den siegreichen Beteiligten bedeutet das natürlich, dass er erstmal die Sicherheit aufbringen, also nochmal in Vorkasse gehen muss, bevor er überhaupt irgendetwas bekommt. Daher gibt es einige Fälle, in denen die insgesamt elf Unterpunkte von § 708 ZPO keine Sicherheitsleistung verlangen: Das sind zunächst Urteile, bei denen eine Partei im Prozess nachgegeben hat, da ihre Schutzwürdigkeit natürlich entfällt, wenn sie schon selbst eingeräumt hat, im Unrecht zu sein (Nr. 1). Selbiges gilt bei Versäumnisurteilen, wenn also einer der Beteiligten zum Prozess gar nicht erst erschienen ist, kann ohne weiteres vollstreckt werden (Nr. 2 und 3), ebenso im Urkunden-, Wechsel- und Scheckprozess (Nr. 4 und 5) sowie bei einstweiligen Verfügungen (Nr. 6), da diese Verfahrensarten auf besonders schnelle Entscheidungen ausgelegt sind. Auch mietrechtliche (Nr. 7), besitzrechtliche (Nr. 9) und unterhaltsrechtliche (Nr. 8) Streitigkeiten gehören dazu; bei letzteren wäre es ja geradezu widersinnig, wenn der, der Alimente für seinen Lebensunterhalt zu bekommen hat, dann erst noch Geld auf den Tisch legen müsste. Ist ein Urteil in zweiter Instanz ergangen, dann spricht eine noch höhere Wahrscheinlichkeit dafür, dass es bestehen bleibt, daher kann es auch ohne Sicherheit vollstreckt werden (Nr. 10). Und schließlich gilt dies auch für Kleinsummen bis 1250 Euro bzw. – wenn es nur um Verfahrenkosten geht – bis 1500 Euro, da hier das Sicherheitsbedürfnis des Betroffenen nicht so groß ist und man den Aufwand einer Hinterlegung einsparen will (Nr. 11).

Um den Verurteilten aber nicht völlig schutzlos zu stellen, sieht das Gesetz in § 711 vor, dass er seinerseits Sicherheitsleistung leisten (oder eine Sache, die er herausgeben muss, hinterlegen) darf und dadurch die Vollstreckung des Prozessgewinners stoppen kann. Das hilft dem Verurteilten zwar nicht so wirklich weiter, weil er trotzdem erst einmal leisten muss, aber er hat zumindest das Recht, den Betrag oder die Sache einer neutralen Instanz (wiederum dem Amtsgericht als Hinterlegungsstelle) zukommen zu lassen, von der er sie ohne Insolvenzrisiko wieder zurückbekommt. Dieses Recht ist außerdem nur in den Fällen des § 708 Nr. 4 bis 11 möglich, also nicht bei Anerkenntnis-, Verzichts- und Versäumnisurteilen.

Aber auch hierzu gibt es wieder ein Gegenrecht des Prozessgewinners: Leistet er seinerseits Sicherheit, wird die Sicherheitsleistung des Schuldners wieder neutralisiert und die Vollstreckung ermöglicht. Wohlgemerkt, eigentlich müsste er keine Sicherheit leisten, da ein Fall des § 708 ZPO vorliegt. Er leistet hier nur, um die Abwendungsbefugnis des Prozessverlierers auszuhebeln.

Die Abwendungsbefugnis besteht aber gemäß § 713 ZPO in aller Regel („soll“) nicht, wenn es kein Rechtsmittel gegen das Urteil, es also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit rechtskräftig ist. Zwar kann der Unterlegene immer noch ein Rechtsmittel einlegen, dieses wird dann aber zurückgewiesen. Insofern ist die Vollstreckung hier formell gesehen immer noch eine vorläufig, materiell aber bereits so gut wie endgültig.

Zusammenfassend kann man also sagen:

  • § 708 Nr. 1 bis 3 und § 713: Vollstreckung ohne Sicherheitsleistung, keine Abwendungsbefugnis
  • § 708 Nr. 4 bis 11: Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Vollstreckung ohne Sicherheitsleistung, dann aber Abwendungsbefugnis
  • § 709 (alle anderen Urteile): Vollstreckung nur gegen Sicherheitsleistung

Manch einer wird sich nun fragen, wo denn die Paragraphen 710 und 712 geblieben sind. Diese regeln aber nur Fälle, in denen ausnahmsweise aus Billigkeitsgründen Abweichungen von der normalen Rechtslage angebracht sind. Um schwer oder gar nicht zu ersetzende Nachteile für den Betroffenen zu vermeiden, kann ausgesprochen werden, dass entweder die Sicherheitsleistung nicht erbracht werden muss oder andererseits die Vollstreckung trotz Sicherheitsleistung unterbleibt. Für das Verstehen der gesetzlichen Systematik sind diese Ausnahmen aber nicht weiter relevant.

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