Zur Zeit geistert die Abbildung eines angeblichen Arbeitslosengeld-II-Bescheids durch das Internet, auf dem für eine vierköpfige Familie ein Gesamtbetrag von über 4000 Euro monatlich ausgewiesen ist. Diese Summe setzt sich, neben den eher bescheidenen „Hartz IV“-Leistungen von 289 bzw. 345 Euro sowie Unterkunftskosten, vor allem aus einer „Eingliederungshilfe“ in Höhe von stolzen 2262,50 Euro zusammen. In reißerischer Sprache und fehlerhaftem Deutsch wird dazu erklärt, dies sei eine ausländische Familie und „Asylanten erhalten neben Hartz IV zusätzlich Eingliederungshilfe“.
Ist da etwas Wahres dran? Wirft unser Staat ohne nachvollziehbaren Grund allen Asylanten über 500 Euro pro und Monat hinterher, damit sie sich mit diesem Geld irgendwie „eingliedern“? Oder ist das eine von mittlerweile vielen Internet-Enten?
Zunächst muss man unterscheiden, was mit dem unscharfen Begriff „Asylant“ eigentlich gemeint ist. Es gibt viele Gruppen von Ausländern, die oft miteinander vermischt werden. „Asyl“ bedeutet Zuflucht und insofern geht es hier schon einmal nur um Flüchtlinge, nicht um sonstige Zuwanderer. Die Flüchtlinge muss man differenzieren:
- Asylbewerber sind Personen, die einfach geltend machen, dass sie Anspruch auf Asyl haben. Ob das tatsächlich so ist, muss erst noch festgestellt werden.
- Asylberechtigte sind Personen, deren Asylrecht behördlich oder gerichtlich festgestellt wurde.
- Geduldete Asylbewerber sind Personen, deren Asylrecht verneint wurde und die eigentlich zur Ausreise verpflichtet sind, die aber aus humanitären Gründen vorübergehend nicht abgeschoben werden.
Von diesen Gruppen bekommen tatsächlich nur die Asylberechtigten überhaupt reguläre Sozialleistungen. Die beiden anderen Gruppen erhalten nach den Vorschriften des Asylbewerberleistungsgesetzes lediglich 280 bzw. 326 Euro, also ca. 3 bis 5 % weniger als Hartz-IV-Empfänger und haben eben keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II (§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II). Darüberhinaus können statt der Geldleistungen auch Sachleistungen zur Verfügung gestellt werden, was laut Gesetz sogar die Regel ist. Die erste Unterstellung, jeder Asylant würde Hartz IV bekommen, hat sich also schon mal als falsch erwiesen.
Was ist aber nun diese Eingliederungshilfe, die ja den Löwenanteil ausmacht?
Zugegeben, das deutsche Sozialrecht ist kompliziert. Bei seinen zwölf Einzelgesetzen, durchnummeriert als SGB I bis XII, kann man leicht den Überblick verlieren, zumal sich diese teilweise gegenseitig ausschließen, teilweise aber auch aufeinander beziehen. Hier hätte aber einfach einfaches Googlen geholfen. So findet bereits in der Vorschau zum ersten Treffer, einer Informationsseite des bayerischen Sozialministeriums, die Erläuterung „Die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen ist eine spezielle Hilfe im Leistungskatalog der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch“.
Die Eingliederungshilfe ist in § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII definiert:
Personen, die durch eine Behinderung (…) wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt (…) sind, erhalten Leistungen der Eingliederungshilfe
Es geht um die Eingliederung von Behinderten in die Gesellschaft. Mit dem scheinbar verwandten Begriff der Integration von Ausländern hat das nichts zu tun. Zu den für Behinderte bereitgestellten Leistungen gehören laut Abs. 2 der Vorschrift insbesondere
1. Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu; die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht bleiben unberührt,
2. Hilfe zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf einschließlich des Besuchs einer Hochschule,
3. Hilfe zur Ausbildung für eine sonstige angemessene Tätigkeit,
4. Hilfe in vergleichbaren sonstigen Beschäftigungsstätten nach § 56,
5. nachgehende Hilfe zur Sicherung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen und zur Sicherung der Teilhabe der behinderten Menschen am Arbeitsleben.
Die Details dazu finden sich in der Eingliederungshilfe-Verordnung. Den Berechtigtenkreis dieser Leistung legt § 1 der Verordnung fest:
1. Personen, deren Bewegungsfähigkeit durch eine Beeinträchtigung des Stütz- oder Bewegungssystems in erheblichem Umfange eingeschränkt ist,
2. Personen mit erheblichen Spaltbildungen des Gesichts oder des Rumpfes oder mit abstoßend wirkenden Entstellungen vor allem des Gesichts,
3. Personen, deren körperliches Leistungsvermögen infolge Erkrankung, Schädigung oder Fehlfunktion eines inneren Organs oder der Haut in erheblichem Umfange eingeschränkt ist,
4. Blinden oder solchen Sehbehinderten, bei denen mit Gläserkorrektion ohne besondere optische Hilfsmittel
a) auf dem besseren Auge oder beidäugig im Nahbereich bei einem Abstand von mindestens 30 cm oder im Fernbereich eine Sehschärfe von nicht mehr als 0,3 besteht
oder
b) durch Buchstabe a nicht erfaßte Störungen der Sehfunktion von entsprechendem Schweregrad vorliegen,
5. Personen, die gehörlos sind oder denen eine sprachliche Verständigung über das Gehör nur mit Hörhilfen möglich ist,
6. Personen, die nicht sprechen können, Seelentauben und Hörstummen, Personen mit erheblichen Stimmstörungen sowie Personen, die stark stammeln, stark stottern oder deren Sprache stark unartikuliert ist.
Das ist die Eingliederungshilfe. Eine Zusatzleistung für schwer behinderte Menschen. Für Blinde, Taube, Stumme usw. und für geistig und psychisch behinderte Menschen (§§ 2 und 3 Eingliederungshilfe-VO). Es ist kein Sonderrecht für Ausländer. Und dieses Geld ist erst recht nicht dazu da, „High Life“ zu machen. Die Leistungen sind zum Beispiel Verständigungsgeräte für Taubblinde (§ 2 Abs. 2 Nr. 2), Sprachübungsgeräte für sprachbehinderte Menschen (§ 2 Abs. 2 Nr. 10), Prothesen (§ 10 Abs. 1) oder auch Beihilfen zur Teilnahme am Fernunterricht (§ 13 Abs. 1 Nr. 8).
Diese Leistungen bekommen, wie gesagt, Behinderte. Inländer wie Ausländer. Nichtbehinderte bekommen sie dagegen nicht – Inländer wie Ausländer. Aber es geht noch weiter. Was lesen wir in § 9 Abs. 1 AsylbLG?
Leistungsberechtigte erhalten keine Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch oder vergleichbaren Landesgesetzen.
Asylbewerber bekommen also gerade keine Eingliederungsbeihilfe. Nur in Ausnahmefällen, nämlich wenn ihr Asylverfahren mehr als vier Jahre dauert und sie diese Länge nicht verschuldet haben, ist das SGB XII überhaupt auf sie anwendbar (§ 2 Abs. 1 AsylbLG).
So, wie dieses fleißig geteilte Internetbild es suggeriert, ist es eine völlig Umkehrung der Tatsachen.