Ehen und andere Familienstreitigkeiten

In Zivilverfahren, wenn also ein Bürger gegen den anderen klagt, richtet sich der Prozess nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO). Für das Verfahren bestimmten Zivilprozessen, nämlich in Angelegenheiten des Familienrechts und der Freiwilligen Gerichtsbarkeit, gilt aber stattdessen grundsätzlich das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG). Aber auch das wird wieder ausgehebelt. denn für bestimmte Angelegenheiten gelten FamFG und ZPO nebeneinander in einer Art Hybridprozessrecht. Für Anwälte, die in solchen Fällen ihre Mandantn effektiv vertreten wollen, ist es existenziell wichtig, diese Regelung zu kennen und auch richtig anwenden zu können.

Diese Fälle sind gemäß § 113 FamFG:

  • Ehesachen (§ 121): Aufhebung der Ehe, Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens der Ehe und – in der Praxis die einzige relevante Ehesache – Scheidungen; im Verbund mit Scheidungen (§ 137) dann auch sog. Folgesachen, insb. Unterhalt und Sorgerecht, aber auch Dinge wie die Verteilung der Haushaltssachen (1568b BGB)
  • Familienstreitsachen (§ 112): Unterhaltsansprüche, güterrechtliche Fragen sowie sonstige Verfahren, für die es keine Spezialregelungen im FamFG gibt (z.B. Streitigkeiten wegen eines Verlöbnisses, wegen Ansprüchen von Eltern gegen Kinder oder wegen des Umgangsrechts)

In diesen Sachen gibt es zum einen terminologische Besonderheiten, die nicht weiter problematisch sind: Statt Prozess heißt es „Verfahren“, statt Klage „Antrag“ oder statt Partei „Beteiligter“ – alles etwas weniger kämpferisch.

Weite Teile des FamFG gelten hier nicht, insbesondere die Vorschriften über

  • das Verfahren an sich (Fristen, Anwaltszwang, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, …)
  • den Ablauf des erstinstanzlichen Verfahrens (Antragstellung, Amtsermittlung, Beweiserhebung, …)
  • die Förmlichkeiten der Entscheidung (Rechtsbehelfsbelehrung, Verkündung, Berichtigung des Beschlusses, Rechtskraftwirkung)
  • Prozesskostenhilfe
  • Vollstreckung

An deren Stelle treten die entsprechenden ZPO-Vorschriften. Davon gibt es aber wieder eine Rückausnahme. In Ehesachen (nicht auch in Familienstreitsachen) gilt die ZPO nicht, soweit es um folgende Dinge geht:

  • unterbliebene oder verweigerte Erklärungen über Tatsachen und Urkunden
  • die Bestimmung der Verfahrensweise, den frühen ersten Termin, das schriftliche Vorverfahren, die Güteverhandlung, die Klageerwiderung, die Klageänderung
  • gerichtliche Geständnisse und Anerkenntnisse
  • sowie den Verzicht auf Beeidigung (insb. von Zeugenaussagen)

Sowohl in Ehe- als auch in Familienstreitsachen wird die Zurückweisung verspäteten Vorbringens (Präklusion) etwas großzügiger gehandhabt als in der restlichen ZPO, siehe § 115 FamFG. Um eine bessere Vertretung der Beteiligten sicherzustellen, gibt es auch beim Familiengericht (das ja eigentlich ein Amtsgericht ist) Anwaltszwang.

Vom FamFG bleiben in diesen Angelegenheiten in erster Linie die Vorschriften über die Ausgestaltung der Entscheidung, über den Instanzenzug sowie die Sonderregelungen der einzelnen Verfahrensarten im Zweiten Buch des FamFG.

Ganz grob muss man sich also folgende Fragen und in dieser Reihenfolge stellen, bevor man weiß, welches Recht genau anzuwenden ist:

  1. Gibt es eine Sonderregelung für diese Verfahrensart?
  2. Gibt es eine allgemeine Regelung im FamFG?
  3. Ist diese anwendbar?
  4. Gibt es eine Regelung in ZPO?
  5. Ist diese Regelung durch eine Rückausnahme ausgeschlossen?

Wer hier einen Fehler macht, kann gleich seine Anwaltshaftpflicht informieren. Aber gerade in familienrechtlichen Sachen geht es häufig um Dinge, die man durch Geld nicht so einfach wieder ausgleichen kann.

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