Als Anwalt wird man häufig gefragt, wie man ein bestimmtes Mandat nur übernehmen kann. Warum verteidigt man einen Mörder/Vergewaltiger/Kinderschänder? Warum vertritt man einen Straftäter, der alte Frauen mit dem „Enkeltrick“ betrogen hat?
Man könnte die Frage ganz pragmatisch beantworten: Wenn ich es nicht mache, dann macht es jemand anderes. Es ist keinesfalls so, dass man einem schlechten Menschen die Unterstützung versagen kann, indem man seine Sache nicht vertritt. Es gibt auch andere Anwälte, ziemlich viele sogar. Irgendeiner von diesen findet sich immer. Insofern ergibt es wenig Sinn, gerade als aufrichtiger Anwalt, dieses Mandat einem Kollegen zu übergeben, der vielleicht windiger agiert als man selbst und keine Hemmungen hat, seinen Mandanten auch mit schmutzigen Tricks zu verteidigen.
Etwas würdevoller ist da schon die feierliche Berufung auf die Stellung des Rechtsanwalts an sich: Er ist Organ der Rechtspflege (§ 1 Bundesrechtsanwaltsordnung). Als solches Organ muss er Aufgaben der Rechtspflege übernehmen, ob es ihm passt oder nicht. Auch diese Argumentation hat einen kleinen Haken, denn der Anwalt ist, wie die BRAO genauer sagt, ein unabhängiges Organ der Rechtspflege und muss damit selbstverantwortlich entscheiden, welche Aufgaben er übernimmt und welche nicht.
Natürlich darf man auch rein monetäre Gründe nicht völlig außer Acht lassen. Eben weil es so viele Anwälte gibt, sind die Kuchenstücke für jeden einzelnen kleiner geworden. Wer seine Kanzlei und seine Familie finanzieren muss, kann nicht allzu wählerisch sein. Das mag sich jetzt sehr brutal anhören, aber natürlich muss auch ein Jurist schauen, wo er bleibt.
Für etwas mehr Verständnis sorgt vielleicht eine andere Betrachtungsweise: Nicht jeder Beschuldigte ist schuldig. Und gerade diejenigen, denen etwas besonders Schweres vorgeworfen wird, müssen nach allen Regeln der Kunst verteidigt werden, wenn die Vorwürfe falsch sind. Wer die Staatsgewalt gegen sich hat und fürchtet, dass der Staatsanwalt eh von seiner Schuld überzeugt ist und dies auch dem Gericht so vermitteln kann, braucht einen Berater und Vertreter, der für ihn kämpft.
Man sollte dabei auch nicht vergessen, dass es einen Unterschied zwischen unmoralischem und strafbarem Handeln gibt. Vielleicht ist derjenige ein schlechter Mensch. Aber ist er deswegen auch ein Verbrecher? Und wenn er ein Verbrecher ist, gibt es nicht trotzdem das eine oder andere, was für ihn spricht?
Jeder Mensch, der in die Fänge der Justiz gerät, hat es verdient, dass auch seine Seite Gehör findet. Egal, wie schwer seine Schuld wiegt. Es geht auch – im Gegensatz dazu, was manche Medien gerne kolportieren – nicht darum, einen Schuldigen mit schmierigen Tricks herauszuboxen. Häufig räumt auch der Verteidiger ein, dass sein Mandant schuldig ist. Nicht selten fordert er eine langjährige Freiheitsstrafe, die nur knapp unter dem liegt, was die Staatsanwaltschaft verlangt. Aber es ist wichtig, dass es jemanden gibt, der auch die kleinen positiven Seiten an jemandem herausstellt. Der seine Schuld ins Verhältnis setzt. Der zumindest überwacht, dass die Vorschriften eines fairen Verfahrens eingehalten werden.
Wer als Anwalt jemanden vor Gericht vertritt, der tut dies, weil es sein Beruf ist. Das bedeutet nicht, dass man diesen Menschen besonders nett findet. Es bedeutet schon gar nicht, dass man Sympathie für die angeklagte Handlung hat. Aber der Unterschied zwischen einem Rechtsstaat und einem Unrechtsstaat und auch der Unterschied zwischen einer zivilisierten Gesellschaft und einem Verbrecher ist, dass man niemanden unter die Räder kommen lässt. Dass man Menschen so behandelt, wie es die Gesetze vorsehen. Und dafür sorgt eben auch der Verteidiger des Beschuldigten.