Alkohol als Entschuldigungsgrund? Vollrausch und actio libera in causa

Alkohol- oder auch drogenbedingte Unzurechnungsfähigkeit befreit nach dem StGB zumindest grundsätzlich von Strafbarkeit. Tatsächlich gibt es aber so viele Ausnahmen von dieser Regel, dass man dem Gesetz durch vorsätzliches Sichberauschen kaum entfliehen kann. Insbesondere drohen Strafbarkeiten aufgrund einer „actio libera in causa“ oder wegen Vollrauschs, der ein eigenes Delikt darstellt.

Das deutsche Strafrecht ist ein Schuldstrafrecht. Der Täter kann nur bestraft werden, wenn ihn eine persönliche Schuld an seiner Tat trifft. Während die Schuldfähigkeit bei erwachsenen Menschen die Regel ist und in normalen Prozessen keiner besonderen Erwähnung bedarf, muss sie bei leisesten Zweifeln daran positiv festgestellt werden.

§ 20 StGB sagt:

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Unzurechnungsfähigkeit ab drei Promille

Unter der „tiefgreifenden Bewusstseinsstörung“ wird auch eine alkoholbedingte Unzurechnungsfähigkeit bezeichnet. Wer mehr als 3,0 Promille (bei Tötungsdelikten: 3,3 Promille, weil hier eine natürliche Hemmschwelle auch bei erheblicher Alkoholisierung noch besteht) Alkohol im Blut hat, gilt gemeinhin als schuldunfähig. Wer schuldunfähig ist, muss an sich freigesprochen werden. Weil dies aber häufig unbillig wäre, gibt es noch die Auffangstrafbarkeit gemäß § 323a:

Wer sich vorsätzlich oder fahrlässig durch alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel in einen Rausch versetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn er in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat begeht und ihretwegen nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder weil dies nicht auszuschließen ist.

„Vollrausch“ bestraft Gefährdung der Allgemeinheit

Hier wird der Täter rechtsdogmatisch nicht wegen der begangenen Tat bestraft, sondern weil er sich selbst zu einer Gefahr für die Allgemeinheit gemacht hat. Darum ist diese Strafnorm auch im 28. Abschnitt des StGB, überschrieben mit „Gemeingefährliche Straftaten“, geregelt. Das Strafmaß hierfür ist insbesondere gegenüber Tötungsdelikten drastisch herabgesetzt: Das Höchstmaß ist fünf Jahre Gefängnis, es kann aber auch bis auf Geldstrafe heruntergegangen werden – das ist der gleiche Strafrahmen wie bei Diebstahl oder einfacher Körperverletzung.

Daher kann es sein, dass besonders gerissene Täter den Entschuldigungsgrund der alkoholbedingten Unzurechnungsfähigkeit ausnutzen, um einer Ahndung zu entgehen.

„Actio libera in causa“ knüpft an Berauschungsvorsatz an

Um dies zu unterbinden hat die Rechtsprechung die Figur der actio libera in causa (ungefähr: freiwillige Handlung als Ursache) entwickelt. Diese steht zwar in dieser Form nicht im Gesetz, kann aber – auf verschiedenen, durchaus umstrittenen Wegen – aus den allgemeinen Vorschriften des StGB entwickelt werden. Der Grundgedanke ist, dass dem Täter seine Schuld bei Herbeiführung der Alkoholisierung zugerechnet wird, auch wenn er bei der Tatbegehung selbst schuldlos gehandelt hat.

Dabei gibt es verschiedene Konstellationen, bei denen es jeweils darauf ankommt, ob der vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat. Vorsatz und Fahrlässigkeit müssen dabei in dem Moment vorliegen, in dem der Täter noch schuldfähig war. Für diesen Zeitpunkt ist festzustellen,

  • ob er seine Schuldunfähigkeit herbeiführen wollte oder dies fahrlässig getan hat und
  • ob er bereits Vorsatz oder Fahrlässigkeit bzgl. der späteren Tat hatte.

Daher sind verschiedene Varianten zu unterscheiden:

Vorsätzliche alic – Vorsatz bzgl. Trunkenheit, Vorsatz bzgl. Tat

A möchte endlich seine Frau aus dem Weg räumen. Weil er weiß, dass er dafür in nüchternem Zustand nie den Mut aufbringen würde, andererseits aber unter Alkoholeinfluss völlig enthemmt ist, genehmigt er sich ausreichend Schnaps. In volltrunkenem Zustand erschießt er seine Frau.

Folge: Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Tötung (§§ 211, 212).

Fahrlässige alic – Vorsatz bzgl. Trunkenheit, Fahrlässigkeit bzgl. Tat

B spricht gern mal dem Alkohol zu. Er weiß zwar, dass er dann öfters mal etwas gereizt reagiert, aber geht grundsätzlich davon aus, dass er niemandem etwas tut. Als er sich wieder einmal absichtlich bis zur Besinnungslosigkeit betrunken hat, rastet er aus und versetzt einem anderen Kneipenbesucher einen Faustschlag.

Folge: Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung (§ 229).

Fahrlässige alic – Fahrlässigkeit bzgl. Trunkenheit

C ist Pyromane, hat seine Sucht aber soweit unter Kontrolle, dass er immer nur in volltrunkenem Zustand Feuer legt. Eines Abends trinkt er ein paar Bier. Weil die Runde so lustig ist, trinkt er viel mehr als eigentlich geplant und ist plötzlich stockbesoffen. Im unzurechnungsfähigen Zustand zündet er ein Haus an.

Folge: Strafbarkeit wegen fahrlässiger Brandstiftung (§ 306d).

Vorsätzlicher Vollrausch – Vorsatz bzgl. Trunkenheit, kein Vorwurf bzgl. Tat

D ist bekennender Fan des Komasaufens, aber stets eine friedliche Schnapsleiche. Als er sich wieder einmal völlig betrunken hat, kommt er urplötzlich auf die Idee, die Deutschlandfahne am Fahnenmast des örtlichen Landratsamts zu entfernen.

Folge: Strafbarkeit wegen vorsätzlichen Vollrauschs (§ 323a), die Höchststrafe wird aber auf den Strafrahmen der Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole (§ 90a Abs. 2) begrenzt.

Fahrlässiger Vollrausch – Fahrlässigkeit bzgl. Trunkenheit, kein Vorwurf bzgl. Tat

E hatte sich vorgenommen, nach drei Bieren mit einem kaum merklichen Rausch nach Hause zu gehen. Von der gemütlichen Stimmung angesteckt, bemerkt er plötzlich seine Liebe zu Rum und rutscht so langsam in den Vollrausch ab. In diese Zustand raubt er eine Bank aus.

Folge: Strafbarkeit wegen fahrlässigen Vollrauschs (§ 323a), der höhere Strafrahmen der §§ 249 ff. ist nicht relevant.

Schuldunfähigkeit – kein Vorwurf bzgl. Trunkenheit

F geht mit seinen Kollegen, die alle im einem deutschen Atomraketensilo der US-Armee arbeiten, auf den Christkindlmarkt. Obwohl er ausdrücklich Kinderpunsch bestellt hat, bekommt er die alkoholische Variante, was er jedoch nicht bemerken konnte. Nach 19 Gläsern Glühwein ist der wenig alkoholgewohnte F völlig unzurechnungsfähig. Er wankt zu seinem Arbeitsplatz, wo er beschließt, Putin endlich mal zu zeigen, was er von ihm hält. Er feuert zwei nukleare Sprengsätze Richtung Moskau ab. Im folgenden Atomkrieg werden drei Viertel der Menschheit ausgelöscht.

Folge: Keine Strafbarkeit.

Resümee

Bei der Frage der Strafbarkeit kommt es – wie insbesondere das letzte Beispiel zeigt – nicht auf die Schwere der Tat, sondern immer nur auf den Schuldvorwurf an. Kann ein solcher nicht gemacht werden, scheidet auch eine Strafbarkeit aus. Beschränkt sich der Vorwurf nur auf das Sichbetrinken, nicht aber auf die spätere Tat, ist nur eine Strafbarkeit wegen Vollrauschs möglich. Kommt zu diesem Vorwurf auch noch eine Vorwerfbarkeit hinsichtlich der Tatbegehung dazu, liegt eine alic vor. Diese ist vorsätzlich, wenn hinsichtlich des Rauschs und der Tat jeweils Vorsatz gegeben ist, ansonsten ist sie nur fahrlässig.

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