Die strafrechtliche Revision

Die Revision ist ein Rechtsmittel, das gegen alle Strafurteile eingelegt werden. Es beschränkt sich auf eine reine Kontrolle auf Rechtsfehler, ob das Gericht also die Tatsachen richtig gewertet hat, wird nicht mehr geprüft. Gegen erstinstanzliche Urteile des Landgerichts, also vor allem bei schwereren Straftaten, stellt die Revision sogar das einzige Rechtsmittel dar, was die Angreifbarkeit dieser Urteile sehr verringert.

Hinzu kommt, dass die Formulierung einer erfolgversprechenden Revision mittlerweile eine Wissenschaft für sich ist, die längst nicht jeder Jurist beherrscht. Die strafrechtliche Revision ist eines der wenigen Gebieten, in denen das Vorurteil über die Juristerei, es käme auf jedes Wort an, man könne seinen Fall durch kleinste Fehler verlieren und es herrsche eine unglaubliche Formenstrenge, tatsächlich teilweise berechtigt ist. Es haben sich daher in der Anwaltschaft Revisionsspezialisten herausgebildet, die Urteile gezielt auf Fehler untersuchen und die entsprechenden Rügen zielsicher verfassen können.

A. Zulässigkeit

I. Statthaftigkeit

Die Revision ist gegen jedes Strafurteil möglich. Gegen die erstinstanzlichen Urteile des Amtsgerichts (§ 335 StPO, § 121 Abs. 1 Nr. 1 a) und b) GVG) und gegen die daraufhin ergangenen Berufungsurteile des Landgerichts kann die Revision zum Oberlandesgericht (§ 333 StPO, § 121 Abs. 1 Nr. 1 b) GVG), gegen die erstinstanzlichen Urteile des Landgerichts und des Oberlandesgerichts die Revision zum Bundesgerichtshof (§ 333 StPO, § 135 Abs. 1 GVG) eingelegt werden.

II. Form und Frist

Die Revision muss beim Ausgangsgericht (iudex a quo) schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden. Die Frist beträgt eine Woche ab Urteilsverkündung. (§ 341 StPO) Aufgrund der kurzen Frist wird die Revision normalerweise „auf Vorrat“ eingelegt, eine tragfähige Begründung ist zu diesem Zeitpunkt kaum möglich, da die schriftlichen Urteilsgründe noch gar nicht vorliegen.

Innerhalb eines Monats nach Eingang der Urteilsgründe muss die Revision dann auch begründet werden (§ 345 Abs. 1 StPO). Diese Schrift bedarf dann auch der Unterschrift eines Rechtsanwalts, was gemeinhin aber auch so verstanden wird, dass der Anwalt nicht nur seinen Namen daruntersetzen muss, sondern die Revisionsbegründung auch inhaltlich maßgeblich gestaltet haben muss.

III. Beschwer

Schließlich muss der Revisionsführer auch beschwert sein, also in irgendeiner Form einen Nachteil aus dem Urteil zu beklagen haben.

Dies ist beim Angeklagten der Fall, wenn er verurteilt wurde. Stehen bei einem freigesprochenen Angeklagten lediglich in den Urteilsgründen Feststellungen, die ihm nicht recht sind (z.B. Freispruch wegen Schuldunfähigkeit, wobei das Gericht von seiner Täterschaft überzeugt war), so reicht dies in aller Regel für eine Rechtsmittelberechtigung nicht aus.

Bei der Staatsanwaltschaft ist das anders, diese kann stets Revision einlegen, da sie als objektive Behörde durch jedes aus ihrer Sicht falsche Urteil beschwert wird. Sie kann sogar zugunsten eines gemäß ihrem eigenen Antrag verurteilten Angeklagten einlegen. Auch einen Freispruch, der nach Antrag des Sitzungsvertreters erfolgt ist, kann sie überprüfen lassen.

B. Begründetheit

Begründet ist die Revision, wenn ein Rechtsfehler des erkennenden Gerichts feststeht. Dabei werden die möglichen Fehler in drei verschiedene Kategorien unterteilt: Verfahrenshindernisse, formelle Rechtsanwendungsfehler (Verfahrensfehler) und materielle Rechtsanwendungsfehler (Sachfehler). Alle diese Fehler haben jeweils bestimmte Besonderheiten, die es in der Revision zu beachten gilt.

In jedem Falle müssen alle Fehler zugleich vorgetragen werden. Auch, wenn man sich sicher ist, dass ein Verfahrenshindernis vorliegt, muss man sich zur Schuldfrage äußern. Auch, wenn man sich sicher ist, dass der Angeklagte freigesprochen wird, muss man sich zur Strafzumessung äußern. Denn man weiß eben nicht, wie das Gericht entscheiden wird. Es ist immer möglich, dass ein Fehler, der für den Anwalt noch so klar zu Tage liegt, vom Gericht nicht als solcher gesehen wird. Umgekehrt ist es möglich, dass ein Revisionsgrund, dem man selbst kaum Chancen einräumt, durch das Gericht akzeptiert wird. Da es aber keine Möglichkeit gibt, das erste Revisionsurteil abzuwarten und dann gegebenenfalls Gründe nachzuschieben, muss man das Urteil immer mit allen sinnvollen Argumenten angreifen. Und wenn am Ende vielleicht kein Erfolg auf ganzer Linie herauskommt, der Angeklagte aber statt zu einer Freiheitsstrafe nur zu einer Geldstrafe verurteilt wird, ist ihm trotzdem schon sehr geholfen.

I. Verfahrenshindernisse

Die Verfahrenshindernisse sind von Amts wegen zu berücksichtigen. Man muss sie also prinzipiell überhaupt nicht vortragen, da das Revisionsgericht ohnehin von selbst darauf achten muss. Gleichzeitig ist es natürlich höchst ratsam, dies trotzdem zu tun, denn kein Gericht arbeitet immer vollständig und perfekt. Wird ein Verfahrenshindernis in der Revisionsschrift gerügt, müssen sich die Richter damit auseinandersetzen und es kann wenigstens schon nicht mehr passieren, dass der Fehler komplett übersehen wird.

Mögliche Verfahrenshindernisse sind:

  • Strafklageverbrauch
  • Doppelanklage
  • keine deutsche Gerichtsbarkeit
  • sachliche Unzuständigkeit des Gerichts
  • Fehlen eines notwendigen Strafantrags

II. Verfahrensrügen

Die Verfahrensrüge ist der komplizierteste und fehleranfälligste Teil der Revision. Ein Verfahrensfehler liegt vor, wenn eine notwendige Verfahrenshandlung unterblieben ist oder wenn sie falsch vorgenommen wurde oder wenn eine tatsächlich vorgenommene Verfahrenshandlung so nicht zulässig war.

Dabei ist in vielen Fällen das einzige zulässige Beweismittel dafür, was in der Hauptverhandlung passiert ist, das Protokoll: Gemäß § 274 ist alles, was im Protokoll steht, auch wirklich geschehen, und alles, was im Protokoll stehen müsste, aber nicht drin steht, nicht geschehen. Widerlegen kann man dies nur durch den „Nachweis der Fälschung“, der praktisch niemals zu führen ist.

Eingeschränkt wird das Rügerecht noch durch die Annahme einer Präklusion (Verwirkung), wenn die Verletzung nicht in der Hauptverhandlung gerügt wird. Beschwert sich der Verteidiger des Angeklagten nicht sofort über den Fehler und führt er keine Entscheidung des gesamten Gerichts („Zwischenrechtsbehelf“) darüber vorbei, ist die Rüge verwirkt und die Revision kann hierauf nicht mehr gestützt werden. Dies gilt nur dann nicht, wenn gegen eine zwingende Vorschrift verstoßen wurde, da der Richter hier keinen Entscheidungsspielraum hatte.

Aufbau der Verfahrensrüge

Die Verfahrensrüge besteht dabei aus folgenden Teilen:

  • Angabe der verletzten Norm (Einleitungssatz)
  • 1. Darstellung der die Verletzung begründenden Tatsachen
  • 2. Beweis für die Tatsachen (i.d.R. durch Verhandlungsprotokoll)
  • 3. rechtliche Ausführungen, warum dadurch eine Rechtsverletzung gegeben ist
  • 4. Nichtvorliegen der Präklusion
  • 5. Beruhen des Urteils auf dem Fehler

Beispiel:

Ich rüge die Verletzung des § 258 Abs. 2, zweiter Halbsatz StPO, da dem Angeklagten nicht das letzte Wort vor der Urteilsverkündung gewährt wurde.

1. Unmittelbar nach dem Schlussvortrag des Verteidigers erklärte der Vorsitzende, das Gericht ziehe sich nun zur Beratung zurück und werde anschließend das Urteil verkünden. Dem Angeklagten wurde keine Möglichkeit eingeräumt, selbst noch in der Sache zu sprechen.

2. Beweis: Protokoll der Hauptverhandlung vom 12. Mai 2016, Seite 7, zweiter Absatz

3. Hierdurch erhielt der Angeklagte nicht mehr die Möglichkeit, abschließend für sich sprechende Gesichtspunkte vorzutragen. Dies ist aber in § 258 Abs. 2 so vorgesehen. Insbesondere bezieht sich der zweite Halbsatz nicht nur auf Fälle des ersten Halbsatzes, wenn also der Staatsanwalt die Möglichkeit der Replik für sich in Anspruch genommen hat. Vielmehr ist das letzte Wort ein grundlegendes Recht des Angeklagten, das ihm nicht genommen werden darf.

4. Die Rüge ist auch nicht präkludiert, da die Vorschrift zwingend ist. Es gab daher keine Veranlassung, zunächst einen Gerichtsentscheid gemäß § 238 Abs. 2 herbeizuführen, da dieser lediglich bei Ermessensentscheidungen notwendig ist.

5. Schließlich beruht das Urteil auch auf der Gesetzesverletzung. Es ist nicht auszuschließen, dass der Angeklagte durch letzte Worte noch einmal entscheidend Einfluss auf das Gericht genommen hätte. Denn er hat die Tat von Anfang an geleugnet und es ist durchaus naheliegend, dass er durch ein abschließendes Plädoyer noch einmal seine Sicht der Dinge glaubhaft dargestellt hätte.

III. Sachrügen

Die Sachrüge beginnt grundsätzlich mit den Worten „Ich rüge die Verletzung materiellen Rechts“. Damit wird das gesamte Urteil zur Disposition gestellt, das Revisionsgericht muss es also vollumfänglich prüfen. Wird nur das geschrieben, so handelt es sich um eine sogenannte allgemeine Sachrüge, die kaum jemals erfolgreich ist. Daher wird die Rüge noch weiter spezifiziert, indem man „insbesondere, aber nicht ausschließlich“ bestimmte Gesetzesverletzungen benennt und näher ausführt.

Die Sachrüge greift die materiell-rechtlichen Entscheidungen des Gerichts an, also die Verurteilung wegen einer Straftat und die Strafzumessung. Man kann damit bspw. geltend machen, dass die vom Angeklagten begangenen Handlungen keinen gesetzlichen Straftatbestand erfüllen oder nur einen milderen.

Dabei muss man – da die Revision eine reine Rechtsinstanz ist – stets von den Feststellungen des Gerichts ausgehen. Möglich ist also die Rüge:

Eine Verurteilung wegen Diebstahls ist rechtsfehlerhaft erfolgt, da das Kraftfahrzeug dem Angeklagten selbst gehörte und es deswegen für ihn keine „fremde bewegliche Sache“ (§ 242 Abs. 1 StGB) war. Denn nach den Feststellungen des Amtsgerichts hatte er das Auto noch nicht an den Zeugen Z übereignet. Dies ergibt sich daraus, dass…

Keinen Erfolg hat dagegen eine Revision mit folgenden Ausführungen:

Eine Verurteilung wegen Diebstahls ist rechtsfehlerhaft erfolgt, da das Kraftfahrzeug dem Angeklagten selbst gehörte und es deswegen für ihn keine „fremde bewegliche Sache“ (§ 242 Abs. 1 StGB) war. Denn die Aussage des Zeugen Z, der Angeklagte habe ihm das Auto verkauft und übereignet, ist höchst fragwürdig. Der Zeuge Z ist wegen Betrugs vorbestraft und hat sich bei seiner Aussage mehrmals in Widersprüche verwickelt. Glaubwürdiger war dagegen der Zeuge X, der den Angeklagte entlastet hat, indem er…

Auch Tatsachenwürdigung unterliegt nur Rechtskontrolle

In letzterem Fall würde nämlich das Revisionsgericht zu einer Tatsachenwertung gezwungen, was ganz einfach nicht seine Aufgabe ist. Man kann sich hier merken: Eine Sachrüge ist nur dann erfolgversprechend, wenn das Gericht sie allein durch Heranziehung des Urteils entscheiden kann, ohne dass es das Protokoll lesen oder gar die Beweise erheben muss.

Die Beweiswürdigung kann nur dann angegriffen werden, wenn sie rechtsfehlerhaft erfolgte. Zwar gibt es keine StGB-Vorschrift, die die Würdigung der Beweise regeln würde. Rechtswidrig ist aber eine Beweiswürdigung,

  1. die unvollständig oder widersprüchlich ist,
  2. gegen Denkgesetze oder gesicherte naturwissenschaftliche Zusammenhänge verstößt oder
  3. Zweifel an der Schuld des Angeklagten zurücklässt, wobei jedoch trotzdem verurteilt wurde („in dubio pro reo“).

Diese Fälle sind erfahrungsgemäß ziemlich selten. Denn die Gerichte verstehen sich meist darauf, ihre Entscheidungsgründe so zu formulieren, dass diese gerade revisionssicher sind.

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