Zwangsvollstreckung: Können sich die Regeln zur Unpfändbarkeit jederzeit ändern?

Mich hat eine ganz interessante Frage per E-Mail erreicht, die ich – mit Zustimmung des Fragestellers – öffentlich beantworten wollte. Die Frage lautet zusammengefasst:

Verschiedenes Eigentum (z.B. ein Herd, Betten, Laptops, Haustiere) ist derzeit unpfändbar. Kann es passieren, dass diese Dinge in Zukunft doch gepfändet werden dürfen?

Zur Beantwortung dieser Frage muss man etwas ausholen. Zunächst einmal setzt ein Pfänden voraus, dass irgendein Anspruch besteht. Die eine Person („Gläubiger“) hat einen Anspruch gegen eine andere Person („Schuldner“). Diesen Anspruch muss sie aber nun irgendwie durchsetzen. Das passiert im Wege der Zwangsvollstreckung durch den Gerichtsvollzieher. Voraussetzung dafür ist freilich, dass der Anspruch auch rechtlich festgestellt wurde, vor allem durch Urteil oder durch ein gerichtliches Mahnverfahren. Mit dieser Entscheidung, dem sog. Vollstreckungstitel oder kurz „Titel“ kann der Gerichtsvollzieher dann die Zwangsvollstreckung betreiben und z.B. Eigentum des Schuldners aus dessen Wohnung pfänden.

Was er pfänden darf – genauer: was er nicht pfänden darf – ergibt sich aus der Zivilprozessordnung (ZPO). Andere Gesetze, z.B. die Verwaltungsvollstreckungsgesetze, verweisen typischerweise auf die ZPO-Vorschriften, die damit auch dann gelten, wenn staatliche Forderungen eingetrieben werden sollen. Demnach sind vor allem geschützt:

  • Haushaltsgegenstände in bescheidenem Rahmen (§ 811 Abs. 1 Nr. 1)
  • Lebensmittel und Brennmaterial für vier Wochen (§ 811 Abs. 1 Nr. 2)
  • Kleintiere für die (landwirtschaftliche) Selbstversorgung u.ä. (§ 811 Abs. 1 Nr. 3 bis 4a)
  • für die Berufsausübung notwendige Gegenstände (§ 811 Abs. 1 Nr. 5 bis 7, 9)
  • Arbeitslohn und Sozialleistungen in Höhe des Pfändungsfreibetrags bis zur nächsten Auszahlung (§ 811 Abs. 1 Nr. 8)
  • Bücher für Bildung oder Religionsausübung (§ 811 Abs. 1 Nr. 10)
  • Dokumente und einzelne Erinnerungsgegenstände (§ 811 Abs. 1 Nr. 11)
  • medizinische Hilfsmittel (§ 811 Abs. 1 Nr. 12)
  • Bestattungsgegenstände (§ 811 Abs. 1 Nr. 13)
  • Haustiere (§ 811c)
  • Hausrat ohne besonderen Wert (§ 812)

Außerdem sind folgende Bezüge unpfändbar:

  • die Hälfte von Überstundenzuschlägen (§ 850a Nr. 1)
  • besondere Zuwendungen des Arbeitgebers (§ 850a Nr. 2, 3 und 7)
  • Weihnachtsgeld bis zu 500 Euro (§ 850a Nr. 4)
  • Beihilfen für Geburt oder Eheschließung (§ 850a Nr. 5)
  • Erziehungsgeld, Studienbeihilfe u.ä. (§ 850a Nr. 6)
  • Blindenzulagen (§ 850a Nr. 8)

Zusätzlich bestehen Pfändungsfreigrenzen für Einkommen (§ 850c), damit dem Schuldner und seiner Familie wenigstens das Lebensnotwendige bleibt und er nicht komplett „kahlgepfändet“ wird.

Pfändungsverbote durch (änderbares) Gesetz festgelegt

Wie wir nach dieser langatmigen Einführung sehen, gibt es also tatsächlich sehr weitgehende Schutzvorschriften zu Gunsten von Schuldnern. Diese stehen im Gesetz und werden von den Gerichten ausgelegt. So liegt es bspw. an den Gerichten, dass man Computer heute wohl zu den normalen Gegenständen einer bescheidenen Haushaltsführung zählt und diese meist nicht pfändbar sind. Diese Rechtsprechung kann sich prinzipiell ändern und auch der Gesetzgeber kann die ZPO ändern, sodass z.B. Überstundenzuschläge vollständig pfändbar sind.

Grundsätzlich ist es also möglich, dass sich die Rechtslage zum Nachteil des Schuldners ändert, eine Pfändungsschutzbestimmung wegfällt und dann – wie der Fragesteller meint – auf einmal etwas gepfändet wird, was er vorher sicher geglaubt hat.

Dann stellt sich aber die Frage, welche Grenzen es für den Gesetzgeber gibt. Diese Grenzen stehen, wie immer, in der Verfassung. Nun sieht das Grundgesetz natürlich nirgends etwas ausdrücklich dazu vor, wie das Zwangsvollstreckungsrecht auszusehen hat. Es gibt aber allgemeine Rechtsgrundsätze, die auch hier beachtet werden müssen.

Rückwirkungsverbot?

Dazu gehört zum einen das Rückwirkungsverbot. Dieses steht zwar nur für das Strafrecht im Grundgesetz (Art. 103 Abs. 2), es ist aber auch in anderen Rechtsbereichen als Teil des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3) anerkannt.

Wer also Schulden eingeht, könnte demnach darauf bestehen, dass die zu diesem Zeitpunkt geltenden Pfändungsschutzvorschriften hinsichtlich dieser Schulden ewig weiter gelten.

Das ist aber schon deswegen ziemlich chancenlos, weil es sich „nur“ um einen Fall der unechten Rückwirkung handelt. Denn es geht ausschließlich darum, wie ein bereits begonnener, aber noch nicht beendeter Sachverhalt (es bestehen Schulden, die aber noch nicht bezahlt sind) weiter behandelt wird. Bereits bezahlte oder auch endgültig uneintreibbare Schulden werden ja nicht berührt. Eine solche unechte Rückwirkung ist aber anerkanntermaßen regelmäßig zulässig.

Außerdem ist Sinn des Rückwirkungsverbots ja der Vertrauensschutz. Und ein Vertrauen darauf, eine Schuld nicht zurückzahlen zu müssen, gibt es nicht.

Pfändung als Grundrechtseingriff

Denkbar ist auch ein Schutz über die Grundrechte. Im Verhältnis zwischen Bürgern gelten die Grundrechte zwar in aller Regel nicht, da es sich dabei nur um Abwehrrechte gegenüber dem Staat handelt. Hier wird aber mit dem Gerichtsvollzieher und ggf. mit dem Vollstreckungsgericht ein Staatsorgan tätig. Dieses muss natürlich die Grundrechte berücksichtigen.

Zunächst käme das Eigentumsgrundrecht in Betracht (Art. 14 GG). Aber das gesamte Vollstreckungsrecht ist natürlich gerade dazu da, das Eigentum so zu verteilen, wie die Rechtsordnung es vorsieht. Auch die Forderungen des Gläubigers sind grundgesetzlich geschützt. Insofern stellt die Pfändung einen gerechtfertigten Eingriff in das Eigentum dar.

Eine Grenze ist dagegen die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG). Menschenunwürdig wäre es sicher, einem Schuldner alles wegzunehmen, was er hat. Denn dann wäre er auf Almosen angewiesen oder müsste hungern. Insofern dürfte zumindest die Sicherung grundlegender menschlicher Bedürfnisse verfassungsrechtlich geboten sein. Dazu gehören neben Pfändungsfreibeträgen sicher auch unverzichtbare Einrichtungsgegenstände wie Betten, die Wohnzimmercouch und eine normale Küchenausstattung.

Daneben wäre es z.B. nicht völlig abwegig, wenn man die Unpfändbarkeit des Eherings dem Schutz der Ehe (Art. 6 Abs. 1 GG) entnehmen würde. Ein Rosenkranz oder ein Gebetsteppich könnten dem Recht auf ungestörte Religionsausübung (Art. 4 Abs. 2 GG) zugeordnet werden.

Emotionaler gegen wirtschaftlichen Wert

Das Halten eines Haustiers ist dagegen durch kein Grundrecht besonders geschützt. Die Schutzvorschrift ergibt sich vielmehr aus der Erkenntnis, dass eine ganz normale Katze ohne besonderen Stammbaum praktisch keinen finanziellen Wert hat. Die emotionale Bedeutung für den Besitzer ist dagegen oft immens groß. Daher wäre dem Gläubiger durch die Pfändung kaum geholfen und man muss dem Schuldner diese Härte nicht antun.

Theoretisch könnte der Gesetzgeber diese Vorschrift aber aufheben – genau, wie er sie irgendwann einmal eingeführt hat. Nur: Ich möchte die Partei sehen, die sich dafür einsetzt, dass der Gerichtsvollzieher Haustiere einfach so mitnehmen darf. Das wäre höchst unpopulär und würde bei Millionen Bürgern (und damit Wählern!) extrem schlecht ankommen.

Schuldnerschutz wird eher ausgebaut

Ganz allgemein geht der Schuldnerschutz daher eher immer weiter als dass er eingeschränkt würde.

Aber auch dafür gibt es Grenzen. Der Gesetzgeber muss die Interessen des Gläubigers, der zu seinem Recht kommen will, zumindest im Auge behalten und insoweit vernünftig abwägen. Würden also die Freibeträge plötzlich auf 10.000 Euro pro Person und Monat steigen und dürfte man künftig auch drei Autos und zwei Häuser unpfändbar haben, wäre dies wohl verfassungswidrig. Der Gesetzgeber besitzt aber einen Spielraum dahin gehend, wo genau die Grenze zu ziehen ist.

Zusammenfassung:

  • Schuldnerschutzvorschriften sind teilweise verfassungsrechtlich gefordert, soweit die Menschenwürde oder andere Grundrechte betroffen sein könnten.
  • Der darüber hinaus gehende Schuldnerschutz aus Billigkeitserwägungen steht im Ermessen des Gesetzgebers und kann sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des Schuldners geändert werden.
  • Es verstößt nicht gegen das Rückwirkungsverbot, wenn Pfändungsverbote auch für schon entstandene Forderungen eingeführt oder aufgehoben werden.
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