Gesetzgebungstätigkeit im historischen Vergleich

Immer mehr Gesetze? Ja, der Eindruck ist nicht so falsch.
Immer mehr Gesetze? Ja, der Eindruck ist nicht so falsch.
Gesetze und bedeutende Rechtsnormen werden im Bundesgesetzblatt, Teil I, veröffentlicht, um Wirksamkeit zu erlangen. Auf diese Weise kann sie (theoretisch) jeder Bürger nachlesen und so erkennen, was erlaubt und verboten ist. Diesen Vorgang nennt man „Verkündung“. (Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG)

Dieses Prinzip der Verkündung gibt es vielen Staaten und dies kennt der deutsche Staat schon seit seiner Gründung. Die damalige Verfassung des Kaiserreichs sah in Art. 2 Satz 2 vor:

Die Reichsgesetze erhalten ihre verbindliche Kraft durch ihre Verkündigung von Reichswegen, welche vermittelst eines Reichsgesetzblattes geschieht.

Insofern kann man die Gesetzgebungstätigkeit sehr gut in quantitativer Hinsicht vergleichen. Das Reichs- bzw. Bundesgesetzblatt hatte demnach folgenden Umfang (durchschnittliche Seitenzahl pro Jahr):

Jahre (Stichprobe) Seiten
 Bundesrepublik  2009 bis 2013  3374
 Bundesrepublik  1983 bis 1987  2320
 Bundesrepublik  1953 bis 1957  1204
 Drittes Reich  1935 bis 1939  1740
 Weimarer Republik  1922 bis 1926  844
 Kaiserreich  1902 bis 1906  592
 Kaiserreich  1884 bis 1888  344

Diese Zahlen sind in mehrerer Hinsicht interessant:

Die Vorstellung, dass die Nationalsozialisten kaum Gesetze verabschiedet hätten, ist falsch. Im Gegenteil, die Jahre von 1935 bis 1939 stechen sowohl gegenüber der Weimarer Republik als auch gegenüber der Nachkriegszeit deutlich heraus. Wenngleich der Umfang von gut 1700 Seiten pro Jahr relativ wenig sein mag, wenn man sich die enorme rechtliche und soziale Umwälzung durch das NS-Regime ansieht, ist es nicht zutreffend, dass die Nazis einfach nur das bestehende Rechtssystem für ihre Zwecke pervertiert hätten. Sie haben schon sehr umfangreich Gesetze verabschiedet, häufig aber lieber neue Gesetze gebastelt als bestehende zu ändern. Auch die Zahl der Gesetze war ziemlich hoch, schon allein, weil ihr jeweiliger Regelungsgegenstand meist sehr begrenzt war.

Noch eines fällt auf: Man kann (was man bisher wohl nur mit einem gewissen Bauchgefühl geahnt hat) unzweifelhaft feststellen, dass die Gesetzgebungstätigkeit immer mehr wird. Wir sind heute beim zehnfachen Umfang der 1880er-Jahre angekommen. Gegenüber den 1960er-Jahren haben wir uns auch schon um knapp 200 % gesteigert. Dies liegt sicher nicht nur daran, dass der Staat immer mehr regeln will. Über die EU kommen zahlreiche neue Gesetzgebungspflichten auf den Bundestag zu. Aber daneben gibt es eine Tendenz, die Dinge immer detaillierter und wortreicher zu regeln.

Und schließlich haben die Gesetze eine immer geringere Halbwertszeit. Der StGB-Kommentar „Lackner/Kühl“ listet bspw. zwischen 1870 und 1890 gerade einmal sechs StGB-Änderungen auf, zwischen 1995 und 2005 dagegen stolze 53. Laufend werden Gesetze neu gefasst, weil man glaubt, irgendwo eine Lücke entdeckt zu haben und diese mit hektischem legislatorischem Aktionismus geschlossen werden soll. Und das produziert viele, viele Seiten in offiziellen Publikationen.

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