Heute lesen Sie erstmals seit längerer Zeit wieder einen rechtspolitischen Text. Es handelt sich dabei um einen sehr konkreten Vorschlag zur Liberalisierung des Baurechts im Innenbereich.
Der Innenbereich ist der Teil einer Gemeinde, der im Zusammenhang bebaut ist. Dort stehen die Häuser im Prinzip unmittelbar nebeneinander, egal, ob es sich nun um ein Wohn- oder Gewerbegebiet handelt. Das Gegenteil dazu ist der Außenbereich, also im Wesentlichen Wald und Wiese. Das Baurecht geht davon aus, dass im Außenbereich grundsätzlich nicht gebaut werden soll, im Innenbereich dagegen schon. Der Innenbereich ist daher häufig mit Bebauungsplänen „durchgeplant“, die den Grundstückseigentümern einerseits erlauben, zu bauen, ihnen andererseits aber auch Grenzen dafür auferlegen, wie, wo, was und wie viel sie bauen dürfen.
Seit der Vereinfachung des Baurechts braucht man zwar nicht mehr für jedes Bauvorhaben eine explizite Genehmigung. § 58 der Bayerischen Bauordnung erlaubt auch eine Freistellung von der Genehmigungspflicht, wenn sich ein Vorhaben im Rahmen eines qualifizierten Bebauungsplans bewegt. Der Bauherr darf also trotzdem nicht bauen, wie er will, sondern der allgemeine Bebauungsplan mit seinen zahlreichen Festsetzungen und Einschränkungen wirkt praktisch wie eine Genehmigung für den Einzelfall. Sind die Voraussetzungen des Art. 58 BayBO nicht erfüllt, bleibt es beim üblichen Genehmigungserfordernis.
In beiden Fällen – also sowohl bei der Aufstellung des Bebauungsplans als auch bei einer Genehmigungserteilung – prüfen die jeweiligen Behörden umfangreich verschiedene Gesichtspunkte wie die „gesunden Wohn- und Arbeitsverhältnisse“ und die „nachbarlichen Interessen“. Der Staat will also dafür sorgen, dass nicht zu viel gebaut wird.
Dieses System funktioniert im Ergebnis aber nicht. Es führt dazu, dass aus einer gerechten Abwägung nachbarlicher Interessen eine Planwirtschaft wird, in der die Gemeinde willkürliche Bebauungsrechte festsetzt. Sieht sich ein Nachbar dadurch in seinen Rechten verletzt, muss er z.B. die Baugenehmigung anfechten und damit die Behörde (in Bayern in der Regel das Landratsamt) verklagen. Der Bauwillige ist dann lediglich Beigeladener, aber nicht als solcher Partei des Rechtsstreits. Es bleibt also eine Streitsache zwischen Staat und Bürger über die Frage, wie der Bürger sein Eigentum am Grundstück nutzen darf.
Dabei geht das den Staat eigentlich nichts an. Der Staat wird nicht dadurch geschädigt, dass ein paar Wohnungen oder Büros mehr entstehen. Die einzigen Personen, die sich hier aufregen könnten, wären die Nachbarn – im weiteren Sinne, also alle Eigentümer, deren Grundstücke irgendwie von dem Bauvorhaben betroffen sind. Ihre Eigentumsrechte sind natürlich zu schützen, aber auch nur ihre. Wenn also der Nachbar in einer Kleinstadt auf einmal einen 27-stöckigen Wolkenkratzer unmittelbar an die Grundstücksgrenze baut, dann sollen die Nachbarn auch die Möglichkeiten haben, selbst – ohne Einschaltung irgendwelcher Baubehörden – dagegen zu klagen. Dieses Recht ergibt sich schon jetzt ohne Weiteres aus § 1004 BGB.
Das gäbe den Beteiligten deutlich mehr Freiheit als jetzt. Sie könnten ihre jeweiligen Ansprüche – auf Zustimmung zum Bau bzw. auf Unterlassung des Baus – zivilrechtlich durchsetzten oder dies eben auch lassen. Verhandlungen unmittelbar zwischen den Parteien und vergleichsweise oder vertragsweise Einigungen wären ohne Einschaltung der Bürokratie möglich. Und wenn der Nachbar sich gegen eine gewisse Entschädigungssumme bereit erklärt, den Wolkenkratzer an seiner Grenze zu dulden, dann ist das eben so. Dass in Zukunft jeder überall Wolkenkratzer baut, ist trotzdem nicht zu befürchten, da ein solches Bauwerk aufgrund seiner Ausstrahlungswirkung über die direkt Nachbarschaft hinweg die Zustimmung zahlreicher anderer Personen voraussetzt.
Morgen lesen Sie, wie eine solche Privatisierung des Baurechts in Gesetzesform gegossen werden könnte.